So heisst ein Frümsner Weiler etwas abseits östlich des Dorfes, in der Talebene. Die dortigen Gehöfte und sonstigen Bauten scharen sich am westlichen Rand des Schlosswalds, also in unmittelbarer Nähe des ausgedehnten Felstrümmerfelds eines vorgeschichtlichen Bergsturzes. Man sagt «s Büsmig, im Büsmig», seltener hört man auch «Büschmig». Ein merkwürdiger Name – irgendwie deutsch tönend, und dennoch schwer einzuordnen. Was mag dahinterstecken? Die urkundlichen Formen, über die wir verfügen, helfen nicht recht weiter, da aus ihnen keinerlei Entwicklungsschritte mehr hervorgehen: Erstmals erscheint der Name 1514 als «acker jmm veld Zebüsmig gelegen», dann 1522 «zu büssmig», 1698 «vf büssmig», 1797 «Büssming», 1801 «Büssmig»; stets ist von einem Gut oder von Ackerland die Rede. Aber die Namensform selber steht da bereits fertig vor uns. Das Raten kann also beginnen.
In seinem Büchlein «Gams in vergangenen Tagen» (Gams 1960) erwähnte Johann Staehelin auch den Namen Büsmig. Der Beitrag zur Problemlösung bleibt aber denkbar gering. Die Erklärung jedenfalls, die er für unseren Namen ansetzt, nämlich «bosca mica ‘Kleinforst’», zeigt, dass der Autor keine klare Vorstellung von der Sprachgeschichte unserer Gegend besass, bemüht er doch mit dem Adjektiv mic ‘klein’ ein Wort aus dem Rumänischen, das im Bündnerromanischen gar nicht vorkommt. Als ‘kleiner Wald’ lässt sich der Name Büsmig also nicht übersetzen.
Der Weiler Büsmig bei Frümsen, vom Hangfuss her gesehen. Der Blick geht talaufwärts; im Hintergrund links das Falknisgebiet. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.
Siebzig Jahre früher aber hatte unser Lokalhistoriker David Heinrich Hilty, sicherlich souffliert von seinem Münstertaler Dienstkollegen Major Thomas Gross, bereits eine interessante Idee in die Diskussion geworfen, freilich noch ohne auf erklärungsbedürftige Einzelheiten einzutreten. Er schreibt zu Büsmig: «Dörfchen bei Frümsen auf den Trümmern eines alten Bergsturzes; romanisch busma, musna ‘Schutthaufen’. Damit trifft Hilty grundsätzlich das Richtige. Aber ohne einige zusätzliche Erläuterungen ist hier nicht auszukommen.
Das Wort muschna f. ‘Haufen zusammengetragener Steine’ ist in ganz Romanischbünden vertreten, fehlt dann aber in der Romania westlich des Gotthards ganz. Östlich Graubündens setzt sich die Wortzone fort in das Dolomitenladinische sowie in die alpinitalienischen Mundarten des Bergamaskischen und Brescianischen. In Mittelbünden erscheint es als mouschna, im Oberland daneben auch als buschna (mit Wechsel von mu- zu bu-). Die von D. H. Hilty ebenfalls angeführte, mir sonst unbekannte Form busma scheint allerdings vom Autor willkürlich zurechtgebogen mit dem Ziel, dem Namen Büsmig näherzukommen.
Der uralte Ausdruck gehört zu jenem Teil des romanischen Wortschatzes, der nicht aus dem Lateinischen stammte, sondern bereits bei den Alpenbewohnern in vorchristlicher Zeit in deren Sprache gebräuchlich war. Er lässt sich ausgehend von den modernen Formen rekonstruieren als mŭkina, und er ist dann – nach der Eroberung Rätiens durch die Römer kurz vor der Zeitenwende – im Laufe der Romanisierung der Ureinwohner in die werdende neolateinische Sprache, in unserem Fall ins Rätoromanische, «mitgenommen» worden (gleich wie viele andere spezifische Ausdrücke auch). Und wie sich aus seiner ostalpinen Verbreitung erkennen lässt, wird seine Herkunft auch nicht beim Keltischen (Gallischen) zu suchen sein, sondern er gehörte offenbar dem Rätischen an, dessen Herkunft bekanntlich weitgehend im Dunkeln liegt.
In unserem unterrätischen Raum (nördlich Graubündens) ist der Ausdruck in Ortsnamen mehrfach und in vielerlei Gestalt vertreten. Erinnern wir uns zurück an den letzthin besprochenen Grabserberger Weilernamen Amaschnun, der die Vergrösserungsform muschnun m. ‘grosser Steinhaufen’ enthält (< muschna abgeleitet auf -un). Ferner finden wir im Liechtensteiner Unterland den Namen Mösma, für ein Wohngebiet in Eschen, der auf dem Grundwort muschna selber beruht. Der Gebietsname im Schneller (in Eschen und Gamprin) wiederum geht auf eine Verkleinerungsform muschnella f. ‘kleiner Steinhaufen’ zurück (er ist älter auch als †Maschnella belegt). Und auch in Südvorarlberg finden sich noch Spuren dieses Namentyps.
Blick vom Oberbüsmig gegen Südwesten; rechts aussen die Saxer Kirche, in Bildmitte der Grabser Berg, darüber die Voralpseemulde. Links oben der Margelchopf, dann Gämsler, Sichelchamm, Gulms, Höchst, Nideri. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.
Auch Büsmig, älter Büschmig, gehört, wie gesagt, zu dieser Gruppe; allerdings müssen wir zu ihm noch etwas weiter ausgreifen, denn der Fall ist mit einigen besonderen Problemen behaftet. Sicher ist, dass er auf altromanisch *muschnieu, dem Sinne nach ‘Ort mit vielen Steinhaufen’, beruht - muschna also abgeleitet auf die Endung lat. -etu. Diese hat sich im Romanischen – grob zusammengefasst – über altromanisch -ieu zu romanisch -iu, -ia (etc.) entwickelt, und daraus wurde dann bei Namen im verdeutschten Gebiet -ig(s), -ia, -i, -üe, -ei (usw.). Die Entwicklungen sind hier besonders vielfältig; allein für die Darstellung dieser Endung hatte ich in meiner Dissertation (1974) fast drei Seiten gebraucht. Hier wollen wir nicht weiter auf diese Komplikationen eintreten - es genüge der Hinweis, dass die besagte Endung vorliegt in Namen wie Panix/Pigniu GR, Pany GR, Elabria (Wartau), Gampernei (Grabs), Amatüe (Grabs), Spania (Vaduz), ebenso in Maschnix Malans (GR) (das man natürlich auch Maschnigs schreiben könnte). Hier, im letztgenannten Fall, steckt nun genau das gleiche *muschnieu wie in unserem Büsmig.
Nun bleiben zu diesem Büsmig (bzw. Büschmig bzw. Buschmig) noch drei Fragen offen:
1) Warum wurde die Betonung (ursprünglich zwingend Büschmig) auf die erste Wortsilbe (Büschmig) verlegt?
2) Warum wurde das -u- zu -ü- (Buschmig > Büschmig)?
3) Wie erklärt sich der Übergang von älterem gesprochenem Büschmig zur heutigen Aussprache Büsmig?
Zu Frage 1: Für den Akzentrückzug von Büschmig auf Büschmig gibt es keine zwingende Erklärung, man kann eigentlich nur feststellen, dass er so stattgefunden hat. Sicher ist allerdings, dass es erst nach dem Sprachwechsel zum Deutschen zu der Umstellung kam, etwa über die Stufen *Muschnig > Muschnig / Buschnig > Buschmig.
Zu Frage 2: Die Form Büschmig könnte als deutsche Mehrzahlbildung zu Buschmig verstanden werden (im Buschmig – in den Büschmig). Solche Fälle kommen tatsächlich vor. (Näheres zu dieser Annahme in Werdenberger Namenbuch, Band 7, S. 396, unter muschna.)
Zu Frage 3: Dass man heute meist Büsmig (mit reinem -s-) ausspricht statt älterem Büschmig, hängt wohl mit dem Einfluss der Schreibung (gewöhnlich Büsmig) zusammen. Ein ähnlicher Fall ist mir aus Grabs bekannt. Dort wurde der Weilername Schgun (etymologisch identisch mit Tschagguns) ab dem 18./19. Jh. oft als Sgun (!) geschrieben, was dann bei weniger sattelfesten Sprechern prompt auf die Aussprache überzugreifen begann.
Blick von der Jäggihalde am unteren Frümsner Berg, nördlich von Frümsen. Links hinten der Schlosswald mit dem Weiler Büsmig, darüber der Eschnerberg mit Gamprin. Ganz hinten Drei Schwestern und Falknis, rechts hinten der Haldensteiner Calanda. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.
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