«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Burstel

(Gams)

Das Territorium der Gemeinde Gams zieht sich bekanntlich der Wildhauser Strasse nach bis hoch hinauf durch das Simmitobel. Westlich des grossen geschlossenen Waldgebiets genannt Hinderwald, das vom Zollhaus bis zur Au reicht und sich bis hinauf zum Weidegebiet Risen erstreckt, folgt im westlichsten Teil des Gamser Gemeindegebiets über der Strasse nochmals ein breiter, hoch hinauf reichender Wieshang, von der Au bis zur Held an der Wildhauser Grenze und von der Simmi aufwärts über Walenbrand bis gegen den Summerigchopf hinauf. Hier begegnet man nochmals einer Reihe von Bauerngütern, etwa Au, Obwald, Seebach, Schererszun, Choratschwendi, darüber Bergweiden und gelegentlich Streueflächen wie Hochweid, Walenbrand, Heg, Obrist, Egg, Summerigweid und Neuenalp. Durch dieses zusammenhängende, nach Süden abfallende Rodungsgebiet, das sich auf Wildhauserboden weiter fortsetzt, fliesst der Burstelbach herunter, der im oberen Lauf die Gemeindegrenze zu Wildhaus bildet. Östlich von diesem, unweit über dessen Einmündung in die Simmi, liegt das Gehöft namens Burstel, von dem hier die Rede sein soll.

Der Name Burstel geht zurück auf deutsch Burgstall (woraus Burgstel und dann Burstel wurden). In Grabs findet man dasselbe Wort, auf andere Weise umgestellt, als Buschgel (Hügelkuppe mit Resten eines mittelalterlichen Wehrbaues im Wald über dem Gebiet Ober Gatter zwischen Studner und Buchser Berg, im Waldgebiet namens Gästela). Burstel oder Buschgel – das Wort bezeichnet, je nachdem, eine Reihe von Begriffen wie: ‘Burgstelle, kleine Burg ohne Hofraum; Schlosshofstatt; Stätte eines niedergerissenen oder abgebrannten Feudalbaues; Stallung zu einer Burg’. Diesbezüglich lässt der Name keinen Zweifel zu.

Mein anfänglicher Plan, das Gut Burstel vom gegenüberliegenden hinteren Grabser Berg (Raum Schwendi-Plena-Badweid) her abzubilden, schlug fehl, da der Wald überall die Sicht auf das tief liegende Gut verdeckte. Auf diesem Bild sehen wir von der Badweid aus auf das Gebiet über dem Burstel: Bildmitte links Schererszun, die Gebäudegruppe rechts Obwald, unter diesem der Stall im Seebach. Der Burstel liegt versteckt am unteren Bildrand (rechts der Mitte) hinter den Bäumen. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Dennoch ist nicht alles geklärt, und zwar auf der sachlichen Ebene: Während nämlich im Fall der Örtlichkeit Buschgel in Grabs Reste eines einstigen Wehrbaues sich sehr wohl nachweisen lassen, sind unseres Wisssens solche im Gebiet Burstel und Umgebung am Gamser Hinderberg nicht bekannt. Hier wirft der sprachlich durchsichtige Name also Fragen nach dem historischen Hintergrund der Bezeichnung auf, die aufgrund des heutigen Kenntnisstandes nicht abschliessend zu beantworten sind. Nach Meinung des Gamser Heimatforschers Noldi Kessler hängt der Name wohl mit der hochmittelalterlich-saxischen Sicherung des Passes, also der Wegverbindung vom Rheintal ins Toggenburg zusammen – man denke dabei auch (weiter unten) an die einstige Burg Gams sowie (weiter oben, heute auf Wildhauser Gebiet) an das Gut namens Gästelen hinter dem Schönenboden sowie an die frühere Wildenburg, ferner auch an den Namen Letzi (und Letzitobel), der ebenfalls die einstige Existenz einer Grenzbefestigung oder Landwehr nahelegt.

Also ging es hinunter zur Kantonsstrasse im Simmitobel - von dort führt ein schmales Strässchen in starker Steigung hinauf zum Burstel. Bild: Werdenberger Namenbuch.

In dem uns hier besonders interessierenden Gebiet verlief der alte Weg – durch die Jahrhunderte ziemlich unverändert – vom Zollhaus über die Au, dann weiter unter Obwald durch und oberhalb vom Burstel zur Landscheid, dann über das Letzitobel zum Schönenboden (Brüggli).

Der alte Weg und die Örtlichkeit Burstel lagen also nahe beisammen. Hier scheint also die Annahme plausibel, dass einmal ein befestigtes Gebäude den alten Durchgangsweg unweit der alten Territorialgrenze (Landscheid!) sicherte. Anscheinend ist der im Namen angesprochene Wehrbau aber spurlos verschwunden; offenbar wurden die vorhandenen Steine für anderweitige Bauten oder Wegbefestigungen verwendet. Hier bleibt also vorläufig eine Wissenslücke offen. Ob sie sich noch einmal durch neu ans Licht tretende Fakten wird schliessen lassen?

Kaum aus dem steilen Tobelwald herausgetreten, erblickt man das Berggut im Burstel, unmittelbar über dem Simmitobel, aber auf ebener Terrasse. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Am Schluss sei noch angemerkt, dass die heutige Strasse 1829/1833 erbaut wurde, und zwar unter der Leitung des Bündner Ingenieurs Richard La Nicca, der damals für den Bau der Rheintalstrasse Sargans-Schollberg-Werdenberg mit Abzweigung nach Wildhaus verantwortlich war (vgl. Bündner Monatsblatt 1939, Heft 6, S. 189). Zur Finanzierung der Wildhauser Strasse wurde nach ihrer Eröffnung zunächst ein Weggeld erhoben; daran erinnern bis heute die Namen Alter Zoll und Zollhaus. Dies galt bis zur Inkraftsetzung der ersten Bundesverfassung, die 1848 alle Binnenzölle aufhob.

Das Berggut Burstel in prächtiger Lage hoch über dem tief eingeschnittenen Simmitobel. Am Gegenhang drüben die hintersten Grabserberger Güter: links Plena, rechts die Badweid. Wie lange mag es her sein, dass man noch hätte zu ebener Erde von hüben nach drüben gehen können? Bild: Werdenberger Namenbuch.

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