Dieser eigenartige Name führt uns in die Gegend östlich von Oberschan, unten an Prestenegg, an eine unbestimmte Stelle zwischen Prestenegg, Fal und Gatin im Norden sowie Malirfi und Sapestra im Süden. Er bezeichnet eine Quelle, deren Wasser einst einen Brunnen speiste. Auch heute steht dort ein Trog, unweit der Strasse nach Gretschins, etwa 200 m östlich vom Sunnenhof. Die Gegend galt als verrufen, schon wegen dem nahen Pfaffenchelleriloch mit seiner unheimlichen Geschichte. Aber auch beim Chropfenbrünnili war anscheinend nicht alles richtig: Hier soll, wie die Sage berichtet, einmal eine mächtige Färlisau mit unzähligen Ferkeln zwei nächtliche Heimkehrer erschreckt und genarrt haben. Zu beiden Orten lässt sich Erheiterndes nachlesen in den Wartauer Sagen von Heinrich Gabathuler (1938), nacherzählt im Werdenberger Jahrbuch 2013, Seiten 186-187. Mit dem Namen Chropfenbrünnili wird sich jenes unheimliche Treiben allerdings nicht in Zusammenhang bringen lassen; zu ihm muss eine Erklärung anderswo gesucht werden. Wenden wir uns also ganz diesem Namen zu.
Dieser Trog, der vielleicht einmal Wasser vom Chropfenbrünnili empfing, liegt seit längerem unbenutzt und ohne Wasserzufuhr im fraglichen Raum. Jenseits der Strasse das ebene Gelände namens Sapestra, im Hintergrund die Erhöhungen von Ferfiggs und Salzbüel. Die Strasse ist hier eingetieft worden; wo genau die Quelle entsprang, ist nicht mehr bekannt. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Die erste bekannte Erwähnung findet er im Pfrundurbar Wartau von 1751, wo es auf S. 35 heisst: «… ein acker jm fahl ob dem Kropffen brünelj, stost 1. An […] gut auch fahl genant, 2. an die Kirch gaass, […] 4. an […] gut auch fall genant». Früher, als es noch keine Landvermessung gab, war es üblich, bei der Umschreibung eines Ortes zu dessen eindeutiger Festlegung die Nachbargrundstücke mit zu erwähnen. Dabei wurde mit der Aufzählung der Anstösser in der Regel im Osten begonnen (darauf 2. südlich, 3. westlich und 4. nördlich). Wenn man das weiss, dann lässt sich aus dem zitierten Eintrag erschliessen, dass das Wiesland Fal oberhalb (= westlich) vom Chropfenbrünnili lag und dass die damalige Kirchgasse, das heisst die heutige Strasse gegen Gretschins hinab, südlich vom Fal verlief. Damit ist unser Ort also vielleicht südlich der Strasse zu suchen (wie ich es bei der Beschriftung der Flurnamenkarte, wohl aufgrund einer entsprechenden Information, festschrieb), allenfalls aber auch oberhalb (= nördlich) der Strasse. Gewiss mag auch der Strassenbau hier die ursprüngliche Geländesituation verwischt haben. Heute liegt ein leerer, trockener Trog ohne jede Wasserzuleitung, uneben und offensichtlich nur provisorisch hier abgestellt, unmittelbar nordseitig über der Strasse, neben dem mit Efeu überwachsenen grossen Baum (auch das Bild vom Chropfenbrünnili im Jahrbuch 2013, S. 185, zeigt dasselbe). Diese Anordnung stellt also sicher nicht die ursprüngliche Situation dar - wie diese aber beschaffen war, dazu bietet das Gelände heute keine erkennbaren Anhaltspunkte mehr. Nur soviel lässt sich zur Lokalisierung dieser heute keineswegs mehr allgemein bekannten Benennung noch sagen.
Hier steigt die Gemeindestrasse (älter Kirchgasse geheissen) von Gretschins herauf nach dem im Rücken des Betrachters liegenden Bergdorf Oberschan. Im Hintergrund rechts die Burgruine Wartau. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Heinrich Gabathuler mutmasst in seinem Ortsnamenbüchlein von 1928, es könnte vielleicht eine Beziehung gegeben haben zwischen dem «Kropf» (im Chropfenbrünnili) und dem «Prästen» oder Gebresten (in der Prestenegg); jedoch ist auch ihm eine solche «völlig unklar». In der Ausgabe 1944 seines Büchlein zitiert er dann den vielleicht durchaus wahren Volksglauben, dass, wer aus der Quelle trinke, einen Kropf bekommen solle …
Auch aus sprachlicher Sicht lässt sich nun allerdings ein direkter sprachlicher Zusammenhang zwischen dem Mundartwort Chropf m. ‘Kropf, Auswuchs (krankhaft vergrösserte Schilddrüse) am Hals des Menschen; Struma’ (mit seiner Mehrzahl Chröpf) und der Form Chropfen- (in unserem Namen) nicht herstellen.
Schon eher treten da zwei andere ähnliche und unter sich verwandte Mundartausdrücke ins Blickfeld:
Ob sich hier ein Bezug zu unserem Ortsnamen erkennen liesse?
Heutzutage ist der Zusammenhang zwischen Kropfbildung und Jodmangel im menschlichen Organismus allgemein bekannt. Jod kommt in der Natur in gebundener Form vor; es findet sich in geringen Konzentrationen in Böden, Gesteinen und Gewässern. Man weiss, dass der Mineralstoff Jod (Iod) in der Ernährung der Menschen und vieler Tiere eine wichtige Rolle spielt. Als lebensnotwendiges Spurenelement ist er vor allem für die Funktion der Schilddrüse unentbehrlich. Dank der Jodierung des Speisesalzes ist die Jodversorgung der Bevölkerung heutzutage gewährleistet; der früher verbreitete Jodmangel mit seinen tragischen Folgeschäden (wie Kropfbildung infolge Vergrösserung der Schilddrüse, aber auch Hirnschädigung, geistige Behinderung, Kretinismus) konnte so behoben werden.
Beim Chropfenbrünnili. Im Hintergrund steigt der mächtige, schroffe Hügelsporn von Magletsch auf. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Das Wissen um die Verbindung zwischen der Qualität des Trinkwassers und den erwähnten gesundheitlichen Schädigungen ist also heute Gemeingut. Auch früher schon machten die Menschen – ohne jedwede Kenntnis der medizinischen Zusammenhänge – ihre Beobachtungen, schrieben sie diesem oder jenem Wasser eine heilende oder krankmachende Wirkung zu. So kann der Name Chropfenbrünnili sehr wohl mit der Erfahrung zusammenhängen, dass das dortige Quellwasser die Kropfbildung förderte - oder bremste? Denn auch das Umgekehrte konnte vorkommen, dass nämlich ein bestimmtes Wasser (infolge seiner erhöhten Jodhaltigkeit) den Kropf heilte. Um was es sich bei unserem «Brünnili» konkret handelte, kann aus der Distanz natürlich nicht entschieden werden; um dazu mehr sagen zu können, müsste man die Quelle kennen und naturwissenschaftlich analysieren.
Dass es aus sprachlicher Sicht unwahrscheinlich scheint, die Form Chropfen- unmittelbar mit dem Wort Chropf zu verbinden, wurde bereits gesagt. Näher liegt da jedenfalls das Verb chropfen, für das die Bedeutung ‘Auswüchse, Geschwüre bekommen’ verbürgt ist. Um es hier ansetzen zu können, müsste man allerdings eher von einer Bedeutungsvariante ‘Auswüchse bilden’ ausgehen können. Dann liesse sich eine Partizipialbildung *das Chropfend Brünneli ‘die kropffördernde Quelle’ vermuten, die sich dann zu Chropfen- umgebildet hätte. Die gleiche sprachlich-formale Reduktion hat sich tatsächlich abgespielt etwa beim Namen Stechenmoos in Grabs, der im Jahr 1463 noch als Stechend Moos (‘stechendes, stachliges Ried’) bezeugt war.
Ganz gesichert scheint uns die Hypothese vom kropfbildenden Wasser allerdings auch nicht zu sein; zumindest können wir die Bedeutungsausweitung des Verbs chropfen (nämlich von ‘Auswüchse bekommen’ zu ‘Auswüchse bilden’) nicht weiter belegen.
Und wenn man versucht, vom Chropfenbrünnili aus direkt auf den Krankheitsnamen Chropfen n. ‘Mumps’ zuzusteuern? Hier müsste man sich fragen, wie sich denn ein sachlicher Zusammenhang zwischen dieser ansteckenden Virusinfektion und dem Trinkwasser herstellen liesse. Ich sehe keinen, aber vielleicht fehlt mir da das Fachwissen.
Auch ein Blick in das umfangreiche «Handbuch des deutschen Aberglaubens» kann diese offenen Fragen nicht schlüssig beantworten. Immerhin erfahren wir dort unter dem Stichwort Kropf (in Band 6, Sp. 603-607), dass das Volk sogenannte «Kropfbrunnen» kenne, «deren Wasser den Kropf heilt, von denen aber vielfach auch die Sage geht, dass sie Kröpfe verursachen».
In diesen Gesamtzusammenhang gehört unser Name auf jeden Fall; die genaue Art der dem Namen zugrundeliegenden Vorstellungen lässt sich allerdings nicht erkennen. So sind wir dem Kern der Namensbedeutung zwar ohne Zweifel auf den Fersen – aber ganz genau fassen lässt diese sich nicht mehr. Zu weit entfernt sind wir mittlerweile vom magischen Denken und der entsprechenden Vorstellungswelt unserer Vorfahren.
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