Dieser Name scheint heute, wie so viele andere, weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Als ich ihn letzthin aufsuchte, fand ich, dass die nĂ€chsten Nachbarn, Ă€ltere Leute, noch nie von ihm gehört hatten. Daher war es hier nicht möglich, durch ortskundige Anwohner mir seinen Geltungsbereich nochmals umschreiben und bestĂ€tigen zu lassen. Dies scheint nicht erst heute schwierig zu sein â schon die wenigen in der Literatur greifbaren Ortsumschreibungen sind recht ungenau. Unsere Nachschau begann am Seveler Vorderberg, bei der engen Strassenkehre namens TĂ€schenrangg. Von hier ging es etwa 150 m zurĂŒck, die Strasse hinunter. Dort steht das Wohnhaus genannt «im Zwei» (gesprochen mit geschlossenem «é» als «ZwĂ©j»), dicht ĂŒber der Strasse und unmittelbar neben dem ausgewaschenen Bett des Heldbachs oder SĂ€genbachs. Von hier aus abwĂ€rts schauend ĂŒberblickt man den Hang, der sĂŒdlich des Gebiets Falfaschnea liegt, so wie es auf unserer Flurnamenkarte eingezeichnet ist. Tief unten, unter einem jĂ€hen Absturz, erblickt man auf grĂŒner HĂŒgelterrasse das mĂ€chtige Haus im Hof, einst im Besitz des Klosters PfĂ€fers, weiter hinten (östlich) den mĂ€chtigen rundlichen Felssporn namens Ansa. Vom Hof aus steigt tief unter uns die alte Hofgass in nordnordwestlicher Richtung gegen Geienberg und Steig an. Das GelĂ€nde ist hier meist steil und stark gegliedert, es wechseln sich abschĂŒssige Hangwiesen mit ObstbĂ€umen, Bacheinschnitte und flachere Stellen, Waldstreifen und jĂ€he AbstĂŒrze ab.
Das Haus im Zwei, unmittelbar hinter dem Heldbach. Der Hang rechts unten im Bild, hinter dem Bacheinschmitt, ist Falfaschnea. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Wo lag Falfaschnea genau? Heinrich Gabathuler umschreibt in den beiden Ausgaben seines OrtsnamenbĂŒchleins die Lage der Ărtlichkeit wie folgt: «flaches, bandartiges Wies- und Ackerland am Sevelerberg, westlich vom Gajenberg» (1929, S. 34). Und: «Wies- und Ackerland auf bandartiger GelĂ€ndestufe am Sevelerberg» (1944, S. 29). Ebenso knapp bleibt Vincenz (1983): «Kleine Mulde auf einer Bodenterrasse am Sevelerberg in der NĂ€he des Gutes Zwei». Nicht viel anders in der Namensammlung der Kulturkommission Sevelen (2001): «Mit Wald umgebenes Wiesland nordöstlich Zwey, an Heldbach angrenzend». Das ist alles sehr allgemein; mit solchen Angaben allein liesse sich der Geltungsbereich dieses Namens in einem so abwechslungsreichen GelĂ€nde nicht genau feststellen.
Der Wieshang Falfaschnea ist mit ObstbĂ€umen bestanden. In Bildmitte hinten ĂŒber dem Tal thront Schloss Vaduz (Liechtenstein). Bild: Werdenberger Namenbuch.
Dabei ist die möglichst prĂ€zise geografische Umschreibung des Benennungsgebiets durchaus wichtig, denn von ihr kann die ZuverlĂ€ssigkeit der Namendeutung â im Einklang mit den sprachlichen Kriterien â abhĂ€ngen. Was der Namenforscher aus einem Namen herausliest (oder: herauslesen möchte), das bezieht sich ja oft unmittelbar auf die örtlichen Gegebenheiten (GelĂ€ndeform, Pflanzenwuchs, Kultivierung, Bebauung, RodungstĂ€tigkeit, Fliesswasser, usw.); ein Deutungsansatz sollte also solchen Faktoren zumindest nicht widersprechen. Je unsicherer aber die Lokalisierung, je mehrdeutiger das GelĂ€nde, je unprĂ€ziser die verfĂŒgbaren Ortsbeschreibungen, desto unsicherer wird die Sache fĂŒr den Namenkundler; schliesslich kann ja ein mögliches Benennungsmotiv in seiner Ausdehnung auf wenige Meter beschrĂ€nkt sein, wĂ€hrend rundherum wieder andere Bedingungen vorliegen.
Weiter ist zu bedenken, dass Namen im GelÀnde «wandern» können. Dies kommt besonders dann vor, wenn eine Bezeichnung nicht mehr verstanden wird (und das ist bei den romanischen Namen ja allgemein der Fall); dann kann sehr wohl im Lauf der Zeit der Geltungsbereich eines Namens im Raum verschoben, von seinem primÀren Benennungsmotiv wegbewegt, durch neue Nachbarbezeichnungen auf die Seite gedrÀngt werden. Daher kommt es, dass man das namengebende Motiv (den «Sinngeber») eines Namens oft ganz am Rand oder gar ausserhalb des heutigen Namensbereichs suchen muss.
Dem Namendeuter obliegt es, in einem wechselseitigen AnnĂ€herungsprozess die arealen Faktoren (also die im GelĂ€nde erkennbaren Benennungskriterien) und die sprachlich-formalen Möglichkeiten miteinander zu vergleichen und darin gegenseitige Ăbereinstimmungen zu erkennen. Oft ist es dann möglich, eine auf Anhieb sichere ErklĂ€rung zu gewinnen; nicht selten aber muss man sich auch damit begnĂŒgen, eine oder mehrere plausible Deutungsmöglichkeiten zu liefern, zwischen denen ein Entscheid offen bleiben muss.
Damit kehren wir zurĂŒck zu unserem Fall! Eingedenk dieser Feststellungen gehen wir daran, die zu Falfaschnea bisher geĂ€usserten ErklĂ€rungen und auch die bekannten Ortsumschreibungen zu prĂŒfen.
Blick von der Bergstrasse hinter dem TĂ€schenrangg hinunter auf das Gut namens Hof auf dem HofbĂŒhel, dahinter der dunkle Felssporn des Ansa; ganz im Hintergrund Triesen und Triesenberg. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Heinrich Gabathuler (1871-1955), der uns wohlbekannte Wartauer Mundartautor, Namensammler und langjĂ€hrige Seveler Dorfarzt (von 1897 bis 1934), setzte unseren Namen in Verbindung mit lat. fascia f. âBinde, Band, Streifenâ (woraus romanisch fascha f. âBandâ). In der ersten Ausgabe seines NamenbĂŒchleins (1929, S. 34) spricht er von einer Ableitung lat. *fascineta, woraus er ein (erfundenes) romanisches *faschneda («von der Gestalt eines Bandes») macht, das dann zu -faschnea geworden sei; in der zweiten Ausgabe (1944, S. 29) verbindet er lat. fascia (rom. fascha) mit der Endung -ea zu lat. fascia aus lat. -etum (âOrt, wo sich etwas vorfindetâ). Damit will er zweifellos den Bezug schaffen zu dem lĂ€nglich-schmalen Bödeli, das zuunterst in Falfaschnea, am Rand des steil abfallenden Waldhangs rampenartig nordwĂ€rts leicht ansteigt.
Sicher war es an dieser schmalen, langgezogenen Hangverebnung zuunterst in Falfaschnea, am Rand des waldigen Absturzes, wo Heinrich Gabathuler seine sprachliche AnknĂŒpfung an romanisch fascha âBandâ festmachen wollte. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Sachlich ist Gabathulers Gedankengang nicht unplausibel, aber sprachlich ist die Deutung doch ganz unwahrscheinlich; sie enthĂ€lt einige Ungereimtheiten, auf deren AufzĂ€hlung und Widerlegung wir hier aus PlatzgrĂŒnden verzichten wollen.
Seit dem Buch von Valentin Vincenz zu den Seveler Orts- und Flurnamen (1983, S. 164f.) liegt ein anderer ErklĂ€rungsansatz vor, dem man nun sowohl sprachlich wie auch sachlich ohne Vorbehalt zustimmen kann: Demnach steckt im zweiten Namensteil âfaschÂnea das altromanische fraschnei (auch: fraschnĂa) m./koll. âEschengehölz; Gebiet, wo die Esche verbreitet stehtâ. Hierher gehören auch weitere Flurnamen in der nĂ€heren und weiteren Umgebung: so â Ferschnöi Buchs, Ferschnei Nenzing, FaschnĂ¶ĂŒ Raggal, ferner, nach dem Sprachwechsel arg entstellt, auch Fröschenei KĂŒblis, Flussanei Seewis.
Der erste Namensteil von Falfaschnea, nĂ€mlich Fal-, enthĂ€lt wohl rom. val f. âTal, Tobel, GelĂ€ndeeinschnittâ (< lat. vallis); daneben liesse sich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten aber auch altrom. aual m. âBach (< lat. aqualis) ansetzen: auch dieses wĂ€re bei uns zu Fal- geworden.
Zusammenfassend lĂ€sst sich also unser Falfaschnea verstehen entweder a) als altrom. val (dâ) fraschnĂa âTobeleinschnitt beim Eschengehölzâ, oder aber b) als altrom. aual (dâ) fraschnĂa âBach beim Eschengehölzâ.
Hier eine Bemerkung zur sprachlich-formalen Seite: ZunĂ€chst befremdet im Namen die Endung -ea. Doch dann erinnern wir uns daran, dass die lat. Endung -etu im Romanischen nicht nur zu -ei gefĂŒhrt hat, sondern (unter anderem) auch zu -Ăa (siehe Namen wie SpanĂa Vaduz (< lat. spinetu âDorngebĂŒschâ), PanĂa Wartau (< lat. pine-etu âFichtenbestandâ)! So wird unser Fall gleich verstĂ€ndlicher: Dann liegt unserem -faschnea eben altrom. -fraschnĂa zugrunde, dessen Tonvokal dann hier mundartlich zu -faschnĂ©a «abgesenkt» wurde (sogar Anlehnung an mundartlich SchneĂ€ âSchneeâ kann bei der «Eindeutschung» mitgeholfen haben).
Dann zur Frage der Namensbedeutung: Ob âTobelâ oder âBachâ â aus sprachlicher Sicht sind hier beide Varianten gleichwertig. Auch sachlich stehen diese sich ja sehr nahe. Wir können aber immerhin die sachliche PlausibilitĂ€t beider Varianten noch abzuklĂ€ren suchen, wobei uns auch die Bilder durchaus dienlich sein können (weshalb auch dieser Aufsatz besonders ausfĂŒhrlich bebildert ist).
Das ist der Heldbach, der sĂŒdlich des Hauses im Zwei ĂŒber den felsigen Untergrund abfliesst. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Er begrenzt das Gebiet Falfaschnea sĂŒdseitig - wahrscheinlich ist Falfaschnea deshalb aual (dâ) fraschnĂa âBach beim Eschengehölzâ, wobei die Bezeichnung dann vom Bach auf das umgebende GelĂ€nde ĂŒberging.
Der Heldbach bildet etwas weiter unten, unterhalb Falfaschnea, bergseitig gleich gegenĂŒber dem HofbĂŒhel, einen Wasserfall. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Besonders hier hat sich auch ein eigentlicher Einschnitt im GelĂ€nde gebildet. Dieser wĂŒrde daher auch die Bezeichnung âTöbeli beim Eschengehölzâ (also romanisch val) sehr wohl rechtfertigen. Â
Und dann stellt sich auch noch die Frage nach der Berechtigung des Pflanzennamens. Hier können wir uns kurz fassen â da bestehen keinerlei Zweifel: Wir befinden uns hier, am unteren Seveler Berg, in der Höhenlage, in der die Esche seit alters allgemein hĂ€ufig vorkommt. Davon zeugt schon der Name der unweit gelegenen Ărtlichkeit FalschnĂ€ra (< lat. fraxinaria âEschenwaldâ). Und wer offenen Auges durch die Gegend streift, sieht sie ja allenthalben stehen, seit einigen Jahren leider, ebenso wie die Ulme, als Opfer eines exotischen SchĂ€dlings (eines aus Asien eingeschleppten Pilzes) oft verdorrt und ohne Rinde stehend.
Ein trauriger Anblick: Eschen und Ulmen sterben bei uns immer mehr ab. Aufgenommen an der Hofgass, unter Falfaschnea. Bild: Werdenberger Namenbuch.
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