So heissen Güter am oberen Seveler Berg, in mässig abfallendem Gelände, südöstlich unterhalb des Weilers Hüseren, hinter dem Büel3 (Wisbüel) und unterhalb der Bergstrasse. Das Gebiet auf 880 bis 980 m ü. M., das in Under und Ober Flusa aufgeteilt wird, ist auf drei Seiten von Wald umgeben. Unterhalb von Flusa, ost- und nordseitig, zieht sich horizontal ein langgezogener Felsabsatz, Flusastein genannt, durch den Bergwald, vom Chessler südwärts bis ins Steigholz.
Auf der Bergstrasse unterhalb Hüseren, im Gebiet Flusa. Im Hintergrund rechts die Kreuzberge. Bild: Hans Stricker
Der Name wird als weibliches Wort behandelt, denn man sagt «in der Flusa». Der älteste urkundliche Beleg, flusa, stammt von 1539. Leider gestattet er keinen Einblick in eine ältere Lautstufe, und dies gilt dann auch für die folgenden Nennungen: 1650 Flussen, 1671 flusen. Und wenn 1730 ein vereinzeltes «uf lussen» auftaucht, so liegt auch darin keine echte Neuigkeit; vielmehr erklärt sich diese Form durch das Zusammentreffen der zwei «f» in «uf Flusa», woraus der Schreiber nun (zu Unrecht) «uf Lusa» machte. Im 18. Jahrhundert erscheinen die Schreibungen «flousen», «flausen», welche aber nie so gesprochen wurden, sondern bloss eine naiv verhochdeutschende Schreibmode jener Zeit widerspiegeln (so ähnlich wie mir in einem Grabser Dokument jener Zeit einmal ein Fluri Lippuner als «Flaurei Leippauner» begegnete).
Die Überprüfung der historischen Formen ergibt hier also insgesamt nichts Neues. Wenden wir uns daher der namenkundlichen Literatur zu. Wieder macht hier David Heinrich Hilty (1890) den Anfang. Sicher auf Rat seines Münstertaler Beraters Thomas Gross zieht er das unterengadinische Wort flus ‘Heublumen, Häcksel’ herbei (welches im Oberengadin und in der Surselva flucs heisst). Das Wort ist unerklärt, auch passt es formal keineswegs zu unserem Namen. Es kann daher als Erklärung nicht in Betracht gezogen werden. Heinrich Gabathuler (1928) denkt an ein «lateinisches» falosa für «etwas Breites, Ausgedehntes», das hauptsächlich den Fehler hat, dass es gar nie existierte … In der Ausgabe von 1944 wiederum möchte er von lateinisch folium ‘Blatt’ ausgehen, bzw. einer Ableitung foliosa ‘blätterreich’. Damit betritt er nun immerhin den Bereich des Denkbaren (denn auch die Namen Figliusa in Samnaun und Fagliusa in Zernez gehören offenbar dorthin), und insbesondere die lateinische Endung -osa ist hier sicher im Auge zu behalten, wie dies auch Valentin Vincenz 1983 bestätigte. Dennoch glaube ich nicht an einen Zusammenhang mit lateinisch folium.
Ein auch inhaltlich sinnvoller Zusammenhang tut sich nämlich auf, wenn wir den Blick auf den erwähnten Felsabsatz, den Flusastein, richten. Erinnern wir uns daran (siehe den früher behandelten Namentyp Chobel/Gufel), dass romanisch cuvel auf lateinisch *cubulum ‘Lagerstätte’ beruht, woraus sich dann die nicht ferne liegende Bedeutung ‘überhängender Fels’ entwickelte. Wir kennen dazu in Wartau die Namengruppe Gufel, Gufels und Gufaluns, in Triesenberg finden sich Guflina sowie Gaflei, schliesslich in Gams der Fleispitz (aus *Gafleispitz gekürzt). Diese Spur auch in Bezug auf Flusa am Seveler Berg weiterzuverfolgen scheint durchaus erfolgversprechend: Unser Name enthält wohl eine Adjektivableitung cubul-osa ‘felsig’, die über romanisch *cuvlusa durch Kürzung zu Flusa geworden ist. Etwas müssen wir hier aber noch ergänzen, denn cuvlusa ist ja Adjektiv und konnte als solches nicht allein einen Namen bilden – es muss ursprünglich noch ein Hauptwort dabeigestanden haben, das einmal den Kern des Namens bildete, dann aber zunehmend ins Abseits geriet, weil es gegenüber dem Adjektiv nur schwachbetont war - und weil überhaupt längere romanische Namengebilde ohnehin nach dem Sprachwechsel oft verkürzt wurden.
Traumhafter Blick von Flusa aus nordwärts. In Bildmitte Buchs, rechts aussen ein Teil von Schaan. Bild: Hans Stricker.
Was für ein Hauptwort da verschwunden ist, darüber kann nur spekuliert werden. Denkbar schiene eine ursprüngliche altromanische Zusammensetzung *[pedra] cuvlusa ‘Fels mit überhängender Wand’, welche dann zu *Cuvlusa wurde. Der letzte Schritt, nämlich von *Cuvlusa zu Flusa, geschah sicher erst nach dem Sprachwechsel zum Deutschen, und er könnte leicht dadurch erklärt werden, dass das Cu- im Namen auf einmal als deutsch «gu Flusa» aufgefasst wurde, nämlich als die mundartliche Richtungspräposition «gu» für ‘gen, gegen’, sodass nun als eigentlicher Rumpfname bloss noch Flusa übrigblieb.
Wir sind uns bewusst, dass auch dieser Vorschlag sich nicht lückenlos beweisen lässt. Mit diesem Mangel muss man sich bei der Rekonstruktion sprachlicher Relikte oftmals zufriedengeben. Solange aber darauf geachtet wird, dass die Argumentation möglichst nahe entlang der sprachlichen, geschichtlichen und sachlichen Plausibilität verläuft und nicht ins uferlose Fantasieren abgleitet, hat auch die Spekulation als Überbrückung von Leerstellen durchaus ihren Platz.
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