«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Lafadarsch

(Wartau)

Das ausgedehnte Weidegebiet dieses Namens liegt im Malanser Holz, auf einer Geländestufe südwestlich über Malans, auf rund 900 m Meereshöhe. Der Grund, warum der Auswärtige schmunzelt, wenn er die Bezeichnung hört, liegt sicherlich an deren hinterem Teil, der an ein bekanntes deutsches Wort aus dem Bereich unter der Gürtellinie erinnert. Dafür kann der Name freilich nichts. Er ist ja gar nicht deutsch, sondern stammt augenfällig aus der romanischen Epoche. Die damals auch «Churwelsch» genannte einstige Landessprache hatte hier in Wartau weit über ein Jahrtausend lang Bestand – länger als im übrigen Werdenberg, länger auch als in Sargans. Auch nach ihrem Untergang als Umgangssprache ist hier das romanische Erbe besonders dicht gestreut in Geländenamen und sonstigen sprachlichen Spuren erhalten geblieben.

Der Name Lafadarsch (er wird auch Lavadarsch geschrieben) erscheint urkundlich erstmals 1691 im Totenregister des Pfarrarchivs Wartau-Gretschins – es war also jemand verstorben, der «uff Lavadarsch» gewohnt hatte. Im Jahr 1751 wird im «Pfrundurbar Wartau» die gegenseitige Abgrenzung der Wartauer Dorfschaften umschrieben. Dort erfahren wir, dass die Gebiete Pulverstampf, Gernolf und auch Lafadarsch (nun als Laffadars verzeichnet) in den Malanser Zehnten (also zum Dorfgebiet von Malans) gehörten.

Das Weidegebiet von Lafadarsch. Im Hintergrund die Flidachöpf. Bild: Hans Stricker

Weiter erscheint der Name urkundlich 1766 als Lavedars, während 1775 Lafendarsch geschrieben wurde, 1788 Lavendarsch und 1801 Lafendarsch. Kleine Schreibunterschiede, die man aber nicht überbewerten darf. Der Leser darf sich jedenfalls nicht vorstellen, dass hinter diesen wenig aufschlussreichen Nuancen zwischen 1691 und 1801 noch eine lautliche Weiterentwicklung der Namensform zu entdecken wäre: Seine endgültige Gestalt hatte der Name damals längst erhalten, und die schriftlichen Differenzen beruhen nur mehr auf dem Fehlen einer orthographischen Leitlinie. Es sind hauptsächlich deutsche Schreibgewohnheiten, die unterschiedslos auch auf romanische Namen übertragen wurden – wie etwa, wenn Lafa- oder Lava- als Laven- geschrieben wird oder gesprochenes -rsch als -rs (weil man mundartlich Ferschene als Ferse schrieb, oder den Frauennamen Urschla als Ursula). Bei der Beurteilung älterer Namenbelege haben wir stets mit dem Einwirken deutscher Schreibnormen, mit schulischen Einflüssen zu rechnen.

Blick von Lafadarsch über den Rhein nach Mäls, zur Luziensteig und auf den Fläscher Berg. Bild: Hans Stricker.

Unser Name ist früh von der Forschung beachtet worden. Schon der bayerische Namenforscher Ludwig Steub (1812-1888) erwähnte ihn 1854 in seinem Werk «Zur rhätischen Ethnologie»: Das «in der Gegend um Sargans» liegende «Lafadarsch», meinte er, stamme aus «l’ava d’urso» und solle also ‘Wasser des Bären’ heissen. Damit trifft der tüchtige Pionier hier allerdings nicht ins Schwarze. - Der Lokalhistoriker David Heinrich Hilty beschreibt 1890 die Örtlichkeit «Laffadärsch», sieht aber von einem Deutungsversuch ab. - Zwei weitere Heimatkundler, die Lehrer U. Adank und J. C. Berger, publizierten 1924 in der Regionalzeitung «Werdenberger & Obertoggenburger» eine Artikelserie zu Flurnamen und Örtlichkeitsbezeichnungen von Wartau. Ihr Vorschlag zu «Lavadars» war «l’aqua d’arso», was nach ihnen ‘Brand, Schwendi’ heissen soll. – Hernach folgt in der Reihe der Namendeuter der uns schon bekannte Heinrich Gabathuler. Im Büchlein von 1928 denkt er an eine Ableitung von lat. lapathium ‘Alpensauerampfer, Blakte (Rumex alpinus)’, und zwar *lapatharium oder *lapatharis für den Ort, wo die Lägerpflanze wächst (die hierzulande «Plutzen» genannt wird). Dann aber ändert er die Meinung und zieht ein konstruiertes *falat’arsch (woraus > *lafat’arsch) vor, das er zurückführen will auf eine angebliche indogermanische Wortwurzel fal- ‘breit sein’, verbunden mit rätorom. ars ‘verbrannt’. Er denkt dabei an Brandrodung, was sicher nicht abwegig wäre, nur beruht sein Ansatz sprachlich auf falschen Voraussetzungen und ist in dieser Form chancenlos. – In der zweiten Auflage (1944) seiner Arbeit kehrt Gabathuler wieder zu der These mit den «Plutzen» zurück. Er schreibt, man hätte früher die Blätter dieser Pflanze gebrüht und in grossen Kästen der Gärung überlassen, was ein wertvolles Schweinefutter ergeben habe. Allerdings ist eine Grundform *lapataria, welche allein romanisch Lafadera (und möglicherweise Lavaderas > *Lafadars) ergeben hätte, im Gegensatz zu den Typen lapatia (rom. lavazza), lapatina (rom. lavadina) und lapatta (rom. lavata) in ganz Graubünden gar nicht vorhanden (siehe Rätisches Namenbuch 2, 184, s. v. lat. lapathium ‘Alpensauerampfer, Blakte, Rumex alpinus’). Damit erweist sich eine Verbindung unseres Namens mit dieser Pflanzenbezeichnung auch bei uns als unwahrscheinlich.

Wohnhaus und Bergwirtschaft Lafadarsch. - Bild: Hans Stricker.

Schliesslich hat sich auch der Romanist Werner Camenisch in seinen «Beiträgen zur alträtoromanischen Lautlehre auf Grund romanischer Orts- und Flurnamen im Sarganserland» 1962 mit unserem Fall befasst, wenigstens im Vorbeigehen und angeregt durch den teils ähnlichen Namen Lavadatsch in Wangs. Diesen Namen im Sarganserland leitet er ab von einem Grundwort, das heute im Unterengadin tablà, in der Surselva clavau m. heisst und ‘Stallscheune’ bedeutet (es entwickelte sich aus einem altromanischen tablá[d]u, lateinisch tabulatum ‘Bretterwerk’). Am Grabser Berg gibt es ein Bergheimetli namens Tafadils, das auf altromanisch tafladiel ‘kleine Scheune’ zurückgeht (die Endung -iel drückt bedeutungsmässig eine Verkleinerung aus), ebenso am Grabser Berg liegt ein Maienberg, der Tafanuf heisst (< tablau nuov ‘neue Scheune’). Im Wortstamm sind diese Fälle also identisch mit Lavadatsch, das zusätzlich die «abwertende» Endung ‑atsch trägt und als Ableitung clavadatsch (älter *tafladatsch) ‘grosse und nicht schöne Scheune’ bedeutet. Der Übergang von *Clavadatsch zu Lavadatsch lässt sich plausibel so erklären, dass zu einer Zeit, als niemand mehr romanisch konnte, das C- mit der deutschen Ortspräposition ge(n) durcheinandergebracht, das alte Clavadatsch also als «ge Lavadatsch» aufgefasst wurde.

Dank seiner Ähnlichkeit mit dem Wangser Fall können wir uns nun bei der weiteren Besprechung des Wartauer Namens Lafadarsch kürzer fassen. Hier haben wir es offenbar zu tun mit einer altromanischen Verbindung von tablad(u) ‘Scheune’ mit dem Adjektiv ars ‘verbrannt, abgebrannt’ (Partizip zum Verb árder ‘brennen, verbrennen, versengen’).

Der langen Rede kurzer Sinn: Der Name Lafadarsch geht zurück auf altromanisch tablad’ars und bedeutet ‘abgebrannte Scheune’, bzw. ‘Ort, wo einmal [noch zu romanischer Zeit] ein Heustall abgebrannt war’.

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