Diesen eigenartigen Namen trägt ein steiles, langgezogenes Berggut westlich über Azmoos, eine ansteigende Lichtung im Waldgebiet Santjürgen (St.Georgen). Es liegt, gut sichtbar von Balzers herüber, am bewaldeten Hangrücken zwischen dem Trüebbach im Norden und dem Wolfslochbach (oder Plängglibach) im Süden, auf einer Höhenlage von 800 bis 930 m ü. M. In Wartau sind mir zu dem Namen zwei Aussprachevarianten begegnet: in Azmoos notierte ich 1971 die Form Mumpertjöris, in Trübbach aber Mumfertjöris. An urkundlichen Formen verfügen wir einzig über drei Nennungen im Helvetischen Kataster von 1801: Sie lauten Montsantjörj, Momsayöris und Mumsend Jöris. Das ist der feststellbare historische Stand, und dieser weckt hinsichtlich der sprachlichen Herkunft des Namens bereits erste Vermutungen. Doch zunächst müssen die bisher geäusserten Thesen zur Herleitung geprüft werden.
Schon ein kurzer Blick auf die älteren Deutungsversuche eröffnet ein verblüffend breites Feld von Spekulationen. Den Anfang macht der uns bekannte David Heinrich Hilty im Jahr 1890. Er schreibt den Namen als Muntfertjöris, und er (bzw. sein Bündner Mentor Thomas Gross) sieht in diesem entweder romanisch munt d’ser Jöri ‘Herrn Jöris Berggut’ oder aber ital. monte fertile ‘fruchtbarer Berg’. Letzteres erscheint formal wie inhaltlich gleichermassen weit hergeholt und hat hier sicher nichts zu suchen. Aber auch im ersteren Ansatz steckt Unwahrscheinliches: Zwar sind romanisch munt und der Personenname Jöri nicht zu beanstanden; die Form Jöri oder Göri stellt die engad. Entwicklung von Georg dar (im Bündner Rheingebiet heisst es Gieri), und Jöri ist auch im Schweizerdeutschen alteinheimisch: Am Grabser Berg war der Rufname Jöri noch vor einer Generation gebräuchlich, und der Sippenname s Jörlis ist in Grabs bis heute bekannt; altvertraut war der Name als Jöüri auch im Sarganserland – man denke an den Alpsegen, wo es heisst: «… der liäb häilig Sant Jöüri / där wol ufwachi und höüri»). Problematisch ist hier in Hiltys Deutung munt d’ser Jöri das romanische Wörtchen ser: dieses geht auf lat. senior ‘älter’ zurück und ist im Engadin (als Ser oder Sar) bis heute in Verbindung mit dem Vornamen eines angeredeten Mannes die übliche ehrende Anrede (auch ich wurde von Engadinern häufig als «sar Hans» angesprochen). Im Rheingebiet ist diese Anrede allerdings ganz unbekannt, und sie kann denn auch in Wartau keineswegs einfach vorausgesetzt werden (man spürt hier unverkennbar den Münstertaler Thomas Gross, der diese ihm geläufige Idee lanciert haben muss).
Die Waldlichtung Mumpertjöris links der Bildmitte. Rechts der Lichtung ist der Einschnitt des Trüebbachs undeutlich wahrzunehmen. Bild: Hans Jakob Reich, Salez.
Es muss also noch weitergesucht werden. Der St.Galler Namenforscher Wilhelm Götzinger erkannte 1891 im Namen Montpertjöris bloss den Personennamen: «Jöri ist örtlich Georg»; weiter kam er nicht. – Im «Werdenberger & Obertoggenburger» des Jahres 1924 versuchte sich der Wartauer Lehrer Ulrich Adank (1851-1932), Weite, zusammen mit J. C. Berger an einer Serie von Wartauer Flurnamen. Zu unserem heutigen Fall erwähnte Adank eine uns unbekannte ältere Gebietskarte eines Verfassers namens Sulser, und dort sei die Namensform Montportgieras eingetragen. Auf diese durchaus unwahrscheinliche Form stützte sich nun Adank, während (wie er schrieb) «einbildungsreiche Laien» den Namen in Mont St.Georgen umzubilden und kursfähig zu machen trachteten. Also konstruierte das mit der romanischen Sprache sichtbar unvertraute Autorenteam eine hypothetische Form *Montporguras (!), die sie als ‘Berg-Schweineweide’ übersetzen wollten, was «irgendwie» zu lat. porcus ‘Schwein’, romanisch püörch, piertg gehören sollte, aber offensichtlich ausser Betracht fällt. – Noch kühnere Sphären erschloss der Seveler Dorfarzt Heinrich Gabathuler (1871-1955) aus Wartau, indem er für unseren Namen auf das lat. purgatorium ‘Fegefeuer’ zugriff: Er setzte eine Entwicklung von romanisch *purgatöri zu *purtgöri und *purtjöri voraus und erklärte unseren Namen so: «Das ist der Berg am reinigenden, d. h. trüben Bache, kein Berg des hl. Georg, auch kein Fegfeuerberg … Der Trübbach hat keinen Namen aus der Vorzeit behalten, ich hätte ihn purgatsch oder purgun getauft». Er spannt also einen weiten Bogen zur lat. Wortfamilie purgare ‘reinigen, säubern, abführen; rechtfertigen, heiligen; sühnen’, purgatio f. ‘Reinigung, Menstruation, Laxierung, Abführung; Sühne’, purgatorius adj. ‘reinigend’, purgatoria n. pl. ‘Reinigungsmittel’. Er verbindet nun das Bedeutungsfeld dieser Wortfamilie gedanklich mit dem Trüebbach, der seinen Namen ja davon herleitet, dass dessen Wasser infolge der mitgeführten Schwebestoffe undurchsichtig, also trübe, ist, weil der Oberlauf dieses Baches im weichen sog. Palfris-Schiefer (Valanginienmergel) liegt. Dies im Unterschied zum weiter südlich verlaufenden Luterbach, dessen Name mit dem Trüebbach ein begriffliches Gegensatzpaar bildet: Der Luterbach verläuft nach Oskar Peter über Zementsteinschichten, ist manchenorts recht tief eingegraben, und der Abtransport von Schutt und Schlamm ist hier, im Unterschied zum Trüebbach, sehr gering, was im Namen (‘lauterer, klarer Bach’) zum Ausdruck kommt. Während wir zum Namen Luterbach tatsächlich eine ältere, romanische Form (†Falserein, falsch überliefert als Falserün) gefunden haben, fehlt zum Trüebbach eine entsprechende romanische Parallelform. Diesen Mangel wollte Heinrich Gabathuler beheben mit seinem Vorschlag, die Leerstelle mit seinem *Purgatsch (oder *Purgun) auszufüllen. Leider ist es uns nicht möglich, seinem Verfahren zuzustimmen. Nicht nur mahnt der einerseits stark medizinisch geprägte, andererseits auch abstrakte Bedeutungsbereich von lat. purgare (‘säubern, abführen; heiligen, sühnen’) hier zur Zurückhaltung – auch die diesem ganzen Versuch zugrundeliegende verschollene Karte mit einer sichtbar manipulierten angeblichen Form *Montportgieras steht insgesamt auf gar unsicheren Füssen. Wir tun daher gut daran, wieder aus den luftigen Höhen des Spekulierens herunterzusteigen zu dem, was wir einstweilen auf sicher haben, nämlich zum Beleg 1801 Montsantjörj sowie zum Umstand, dass die Lichtung Mumpertjöris im Waldgebiet Santjürgen gelegen ist.
Nochmals das Berggut Mumpertjöris in der schneefreien Waldlichtung in Bildmitte hoch über Azmoos, aufgenommen im März 2022. Bild: Werdenberger Namenbuch.
Es wird manchem Leser ja auffallen, dass zwischen (Munt) Sant Jöri und Santjürgen kein grosser Unterschied besteht, und zweifellos steht eben doch die Annahme im Vordergrund, dass hier ein ‘Sankt Georgs Berg(gut)’ vorliegt, dessen romanische Variante als Mumpertjöris erhalten blieb, während mit dem Sprachwechsel zum Deutschen eine Übersetzung Santjürgen (Sankt Georgen) aufkam, die sich dann auf das umgebende Waldgebiet verlagerte. Solche Doppelbezeichnungen einschliesslich leichter Ortsverschiebungen kommen bei uns häufig vor; weiter oben wurde schon erwähnt der Zwillingsname †Falserein/Luterbach, dann ist auch zu erinnern an Wartauer Namenpaare wie Langagger und †Arlunga (altrom. air lung ‘langer Acker’), Zwüschet Bergen und Tantermunt (altrom. tanter munts ‘zwischen den Bergen’), †Wisli und †Pradella (altrom. pradella ‘kleine Wiese’), usw.; wer sich dafür interessiert, findet weitere Fälle aufgeführt im Werdenberger Namenbuch, Band 8, 284 (Absatz «Übersetzungsname»). Im Laufe des Sprachwechsels, also in einer Zeit, da hierzulande nebeneinander romanisch und deutsch gesprochen wurde, verstanden ja die Menschen in der Regel beide Sprachen. Diesen Paaren ist nun gemeinsam, dass der ältere, romanische Name eine deutsche Übersetzung erhielt. Zunächst war diese bezogen auf die romanisch benannte Örtlichkeit selber. Es waren nun zwei Weiterentwicklungen möglich: Einerseits konnte der romanische Name absterben, während der deutsche – in derselben Bedeutung – weiterlebte. Andererseits kam es auch vor, dass der romanische Name trotz der Übersetzung leben blieb (neben dem deutschen), und dass sich nun die beiden Varianten sozusagen je einen eigenen Geltungsbereich zulegten, sich also örtlich leicht differenzierten. Letzteres ist bei den Benennungen Santjürgen und Mumpertjöris geschehen.
Nun noch zur Frage des Heiligennamens Sankt Georg: Zu welchem Kirchengut, zu welchem Gotteshaus mag also unser Berggut gehört haben? Die örtliche Zuweisung bleibt in diesem Fall nämlich offen. Dies ist natürlich störend, muss aber nicht unbedingt gegen die Deutung sprechen. Zwar scheinen die Kirchen und die dörflichen Kapellen in Wartau selber nicht in Betracht zu kommen; jedenfalls sind für sie heute nur die Patrozinien Martin (Gretschins), Oswald (Oberschan), Erasmus (Fontnas), Laurentius (Malans) und Nikolaus (Azmoos) greifbar. Doch kann ja in alten Zeiten ein besitzmässiger Zusammenhang grundsätzlich auch mit weiter entfernten Kirchen bestanden haben - man denke etwa an die Sankt-Georgs-Patrozinien in Buchs und in Berschis. Oder vielleicht kann hier auch an ein in der Gemeinde selber einst beheimatetes, jedoch in Vergessenheit geratenes älteres Patrozinium gedacht werden? Leider können wir diese Wissenslücke nicht füllen.
Wehrhafte Gegend: die Panzersperren aus dem Zweiten Weltkrieg über Azmoos, gesehen von der Schollberggass (Falboden, ob der Chlefibünt) aus. Am Horizont die Tannen auf Mumpertjöris. Rechts hinten der Gipfel der Gauschla. Bild: Werdenberger Namenbuch.
So muss am Schluss - zumindest theoretisch - auch die Möglichkeit offengelassen werden, der Name Mumpertjöris hätte ursprünglich anders gelautet, seine eigentliche Gestalt sei aber nicht überliefert und er sei auch anderer, unbekannter Herkunft. Dann müsste man annehmen, er wäre irgendwann im Lauf des Mittelalters zu einem – unechten – «Sankt-Namen» zurechtgebogen worden, woraus dann schliesslich durch Übersetzung auch die deutsche Form entstanden wäre. Doch das halte ich für recht unwahrscheinlich.
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