«Namen sind ungeschriebene Geschichte»

Plattnach

(Buchs)

So (und älter auch Plattnacht) heissen eine Hügelkuppe und ein Abhang am Fuss des Buchser Bergs, über dem Wäseli, südöstlich vom Altendorf, am nordöstlichen Ende des noch zum Gemeindegebiet von Sevelen gehörenden Hügelzugs von Spunterära-Ilgenstein und dem Sunnenbüel, der sich zwischen dem Tobelbach und dem Raum Flat-Rietli gegen das Dorf Buchs vorschiebt. Das Gebiet Plattnach st heute dicht überbaut (im oberen Teil, im Wald, reicht die Bezeichnung auch noch auf Seveler Boden hinein). Am Osthang der Erhebung befand sich früher ein Weinberg, genannt Plattnachwingert, welcher aber in älteren Jahrhunderten †Plattnerwingert hiess. Mit diesem Unterschied ist bereits die Herkunftsfrage dieses merkwürdigen Namens berührt. Wir wollen sehen, was dazu zu sagen ist.

Bei näherer Betrachtung der Dokumentation fällt dem Bearbeiter tatsächlich auf, dass die Bezeichnung unserer Örtlichkeit durchgehend zwischen den beiden Varianten Plattnach(t) und Plattner pendelt: Einerseits ist da das ältere, heute ungebräuchliche im Plattner: zwischen 1520 und 1570 erscheint mehrfach der Eintrag «… ain wingart zum altendorf gelegen den man nempt plattner»; auch im 17. und 18. Jh. heisst es nur blatner. Auch der abgegangene Zusatzname †Plattnerwingert (für denselben Ort) erscheint bereits 1482 als Blattners Wingarten und 1493 als plattner wingart. Andererseits das heutige Plattnach, das erstmals 1801 im Helvetischen Kataster als Blatnacht erscheint, also relativ jung ist. 

Blick vom Rietli her auf das Wäseli und den ganz überbauten Abhang von Plattnach. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Damit wird nun augenscheinlich, dass in der Überlieferung dieses Namens (für uns im Jahr 1801 erstmals sichtbar) ein eigentlicher Bruch stattgefunden haben muss: der auffällige Übergang von altem †Plattner zum jungen Plattnach.

Dazu kommt nun noch etwas Drittes: Im Jahr 1765 erscheint zusätzlich die Form blatnet. Versuchte hier der Schreiber, an ein mundartliches Adjektiv (ge-)plattnet ‘mit Steinplatten versehen’ anzuknüpfen – wohl mit Blick auf hervortretende Felsplatten? Wir wissen es nicht sicher - aber diese Form wird weiter unten nochmals aufzugreifen sein.

Das ist die Auslegeordnung. Zunächst aber wollen wir uns wie gewohnt vergewissern, was die ältere Namenliteratur zu unserem Plattnach zu sagen weiss.

Der Seveler Dorfarzt Heinrich Gabathuler denkt in seinem Namenbüchlein von 1928 (S. 75) an andere Ortsnamen auf -ach in der deutschen Schweiz, die als keltischen Ursprungs gelten – er folgert daraus: «Hier dürfte die erste Niederlassung der Gegend zu suchen sein; keltisch acum ‘Dorf, fester Platz’». In der Ausgabe von 1944 (S. 63) wiederholt und verdeutlicht er den Gedanken: «… ursprünglich wohl plattinacum. Die keltische Endung -acum bezeichnet einen festen Platz, Dorf». Dieser Ansatz wirkt nicht unplausibel; jedenfalls kommen Ortsnamen mit der galloromanischen Ortsnamenendung -acum in Frankreich sehr häufig vor, und ihre Zone reicht ostwärts auch in die vormals helvetisch-gallische Schweiz herein, nämlich bis in das Mittelland und die Innerschweiz (vgl. Alpnach, Bülach, Dornach, Küssnacht, Sirnach, Zurzach). Die Endung verbindet sich im galloromanischen Sprachgebiet vielfach mit Personennamen und bringt eine Zugehörigkeit, ein Besitztum zum Ausdruck. Für den alten rätischen Sprach- und Kulturraum allerdings, in dem wir uns hier im Rheintal befinden, ist dieses keltische Namenselement nicht typisch. Und wie wir sehen werden, kommt es in unserem Zusammenhang denn auch gar nicht in Frage.

Im Maladorfner Underdorf, am Fuss des Hügels, wo einst der Plattnachwingert (oder †Plattnerwingert) war. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Im Jahr 1964 gab der Buchser Chemiker und Geschichtsfreund Dr. Ernst Rohrer ein Heftchen unter dem Titel «Die Deutung unserer Orts- und Flurnamen. Beitrag zur Buchser Heimatkunde» heraus. In der äusserlich seriös erscheinenden Untersuchung ging ein Autor ans Werk, der offenkundig heimatverbunden und interessiert war, aber sprachgeschichtlich wirr und fantastisch drauflos deutete, in allerhand Mythologien bewandert, aber leider, ohne sich um Dinge wie geschichtliche Plausibilität, Forschungsstand und elementare Grundsätze sprachwissenschaftlichen Vorgehens zu kümmern. Nach ihm sollte der Name Plattnach den «weitverbreiteten Götternamen Bal» enthalten, verbunden mit einem (nicht weiter erklärten, wie aus der Luft gegriffenen) Ausdruck «att(n)ach ‘Bitte, Zuflucht’» (?). Nach dieser hanebüchenen «Erklärung» wäre die Erhebung über Altendorf eine Kultstätte gewesen, eine Zuflucht- oder Bittstätte für Bal, den Sonnengott. Das ist nun freilich kompletter Unsinn, ohne eine Spur von Wahrscheinlichkeit. Man trifft gerade auf dem Feld der Namenforschung gelegentlich auf diese Art von «Erklärern», die sich unterfangen, auf einem Feld mitzureden, das sie nicht annähernd überblicken und dessen Wissensstand und Abgrenzungen sie weder richtig kennen noch anwenden. Bedenkenlos und kunterbunt werden da aus dem Arsenal der ganzen menschlichen Kulturgeschichte «passende» Elemente zusammengesucht, um damit vorgefasste Thesen zu untermauern. Nein, mit dem Götternamen Ba’al (einem Fruchtbarkeits- und Wettergott, der auch im alten Testament vielfach erwähnt wird und im Namen Balthasar sowie in der Bezeichnung Beelzebub weiterlebt) hat unser Fall sicher nichts zu schaffen.

Die wirkliche Erklärung von Plattnach alias Plattner ist eine viel jüngere, und, fast möchte man sagen, banalere: In seiner Untersuchung der Buchser und Seveler Orts- und Flurnamen von 1983 verwies Valentin Vincenz (auf S. 94) auf eine Urkunde von 1440 im Stadtarchiv Feldkirch (Nr. 99), gemäss welcher ein Mann namens Plattner aus Feldkirch in Buchs beim Altendorf einen Weinberg gekauft hatte. Das ist eben der «Blattners Wingarten», der dann 1482 auch bei uns urkundlich auftauchte (wie oben erwähnt)!

Hier, am nördlichen Ende des Hügelzugs, kommen Wäseliweg und Sennereigass zusammen. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Das Feldkircher Geschlecht der Plattner scheint im 15./16. Jh. recht wohlhabend gewesen zu sein, kaufte es doch nicht nur in Buchs einen Wingert, sondern auch in Vaduz: Auch dort gab es, wie eine Urkunde von 1574 vermeldet, einen Weinberg namens †Plattner («Desgleichen Vlrich Plattner, Burger zu Veldkirch, seinen Weingartten zu Vaduz, an Mareen gelegen, vnnd noch heutigs tags der Plattner genannt»; vgl. Liechtensteiner Namenbuch, Bd. I/2, S. 371).

Der Knoten löst sich. Unser Weinbergname ist also ganz und gar deutsch; man braucht für ihn nicht die keltische Sprache zu bemühen und schon gar nicht in den mythischen Flimmer nahöstlicher antiker Gottheiten abzutauchen.

Nein, wir haben es hier nur zu tun mit dem FamN Plattner. Dieser lässt zwei Herleitungen offen: a) als mittelalterlicher Berufsname, Bezeichnung für einen Handwerker, der sich mit der Herstellung von Harnischen, Brustharnischen, eisernen Ritterrüstungen befasste und auch Harnischmacher, Harnischfeger, Plattharnischer genannt wurde (neben letzterem gab es auch den Ringharnischer, der die schweren Kettenhemden verfertigte); und b) auch möglich Ableitung von einem Örtlichkeitsnamen Platte (für ‘Felsplatte, Terrasse’), abgeleitet auf -ner, nach der Wohnstätte oder Herkunft des ersten Namensträgers.

Nun bleibt noch die Frage offen, wie der Übergang von Plattner zu Plattnach zustande kam. Hier müssen wir nochmals erinnern an die 1765 bezeugte Form Blatnet, welche damals offenbar so gesprochen wurde. Dabei fällt einem unwillkürlich eine merkwürdige Parallele ein, welche die Brücke schlagen kann zum jungen Plattnach. Ich meine den Umstand, dass nämlich in der hiesigen Mundart das Wort Fasnacht als «Fasnet» ausgesprochen wird! Hier liegt die Vermutung förmlich auf der Hand, dass diese Parallele auch dem Schreiber des 18. Jhs. vor Augen stand, als er den Namen Blatnet schreiben sollte: Weil er «hochdeutsch» formulieren wollte, «veredelte» er - eben mit dem dem Muster FasnetFasnacht im Hinterkopf - die Mundartform Blatnet entsprechend zu Platnacht! Andere taten es ihm nach, und so fand diese kosmetische Verschönerung dann aus den Amtsstuben heraus den Weg auch unters Volk, wo sie sich schliesslich ebenfalls durchsetzte.

Hier geht es nach Plattnach hinauf. Bild: Werdenberger Namenbuch.

Denn mittlerweile hatte das Amtsdeutsche begonnen, seinen Einfluss auszubreiten. Auch in den Schulstuben wurde damals – und noch lange – den Schülern eingebläut, das Hochdeutsche stehe hoch über der Mundart (noch vor wenigen Jahrzehnten hörte ich im Oberwallis, Hochdeutsch sei «güät titsch», Mundart «schlächt titsch» ...).

So konnten sich, gemäss der damaligen Auffassung: richtig sei das, was geschrieben stehe, solche unechten Formen dank ihrem amtlichen Stempel durchsetzen. So geschehen etwa auch im Fall von Ortsnamen wie Degersheim SG (künstlich-jung statt der richtigen alten Form Tegerschen) oder Schüpfheim LU (statt volkstümlichem Schüpfen), Braunwald GL (statt Brunn[en]wald), Murgenthal AG (statt Murgeten).

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