«Namen sind ungeschriebene Geschichte»
Zeichnerische Dokumentationsarbeit (anlässlich der Restauration der Burgruine Hohensax).

Die archäologischen Befunde

Der nachfolgende Überblick basiert hauptsächlich auf den Arbeiten von Regula Steinhauser-Zimmermann in WJ 2016, 27-39, Margarita Primas in WJ 1989, 34f., WJ 1994, 86f., WJ 2006, 170-178, ferner Otto Ackermann in WJ 2002, 216-223. Man vergleiche weiter auch die Beiträge zur Archäologie des Tales in: Alpenrheintal (2008).

Aus der spätesten Altsteinzeit ist auf der Saxer Underalp auf ca. 1450 m durch Lesefunde (seit den 1970er Jahren) ein Freiland-Rastplatz bekannt geworden. Dieser lag am Weg vom Appenzellerland ins Rheintal über die Saxerlücke (Saxer Lugge).

Die Fundstellen aus der Mittelsteinzeit (Mesolithikum, ca. 9600-5500 v. Chr.) im Alpenrheintal und dessen Seitentälern liegen einerseits in Gewässernähe (Fischfang), anderseits in höheren Lagen (Jagd). Eine davon befindet sich im Moos hinter Oberschan (908 m), am Rande des Bärentobels auf einer sonnigen Kuppe; sie lieferte Steingeräte, wohl aus dem 8./7. Jahrtausend v. Chr.; offenbar handelte es sich hier um ein Basislager für die Nutzung der alpinen Zonen und des Talbodens. Die Versorgung mit Rohmaterial und die verwendeten Techniken verbinden die Region Wartau mit Süddeutschland und mit dem Zürichseegebiet; transalpine Kontakte sind nicht belegbar.

Neolithische (jungsteinzeitliche, ca. 5500-2200 v. Chr.) Siedlungen sind im Rheintal zwischen Bodensee und Chur seit dem 5. Jahrtausend v. Chr. nachweisbar. Im Lauf des 4. und 3. Jahrtausends v. Chr. nahm der menschliche Einfluss in den Alpen zu. Während einer Wärmezeit (mit günstigerem Klima als wir es kennen), zwischen 6000 und 3000 v. Chr., lag die natürliche Waldgrenze (zur Zeit um 1600 m) je nach Standort um 100 bis 200 m höher als heute. Gerade im Werdenberg ist diese Grenze durch Rodungen stark verschoben worden. Von den Rheinauen aus führten als einzige naturgegebene Pfade die verschiedenen Bachtobel hinauf zur offenen Gipfelregion. In diesen Tobeln kommen immer wieder vorgeschichtliche Funde zum Vorschein. Die ältesten Spuren liegen noch vor der Zeit der dichtesten Laubwälder.

Nachdem sich in Mitteleuropa zwischen 6000 und 4000 v. Chr. die bäuerliche Lebensweise durchgesetzt hatte, entstanden auch in den voralpinen Tälern allmählich Gehöfte und kleine Dörfer in der Nähe von gutem Ackerland. Im Rheintal sind es die Inselberge und die untersten Hangterrassen, die archäologische Spuren der jungsteinzeitlichen Periode hinterlassen haben. Nur ein einziges Steinbeil - das typische Rodungsgerät der Jungsteinzeit - kam an der Waldgrenze unterhalb des Alviers zum Vorschein. Dass die waldfreien Gebiete oberhalb von 1700 m damals als Viehweide benützt wurden, kann ausgeschlossen werden. Üblich war die Waldweide, die bei den kleinen Tierbeständen und der niedrigen Bevölkerungszahl jener Zeit problemlos und ohne dauerhafte Waldschäden möglich war.

Jungsteinzeitlich sind die Funde der Lutzengüetli-Kultur (Gamprin; spätes 5./frühestes 4. Jahrtausend v. Chr.); sie zeigen enge Beziehungen zum süddeutschen Raum. Dasselbe gilt für die früheste Besiedlung auf dem Pfäfersbüel (Sevelen). Fast alle erforschten Siedlungen dieser Zeit liegen auf überschwemmungssicheren Hügeln. Für die Zeit um 3500 v. Chr. sind erstmals menschliche Skelette belegt: In Wartau wurden in einer Höhle die Überreste von über dreissig Personen gefunden. Ebenfalls in Wartau kam aus dem 4./3. Jahrtausend der Grundriss eines horgenzeitlichen Grubenhauses zum Vorschein, mit Steingeräten, die auf Import aus Süddeutschland und auch von Norditalien schliessen lassen (die Horgener Kultur wird zwischen 3400 und 2800 v. Chr. angesetzt). Im Bodenwingert über Azmoos wurde ein Dolch aus Silex (Feuerstein) gefunden, der aus Oberitalien stammt.


Grabung am Pfäfersbüel in Sevelen.

Zwischen 1600 und 1000 v. Chr. verändert sich das Spurenbild im ganzen alpinen Raum, nicht nur im Raum Werdenberg. Die Siedlungsnachweise in den Tälern vervielfachen sich, und auch die Höhenfunde beginnen sich zu häufen. Wieder sind es vor allem Rodungsgeräte, nämlich Beile, jetzt aber aus Metall (Bronze). Sie kommen üblicherweise einzeln an den Berghängen zum Vorschein, so in Grabs auf Pir über dem Studner Berg (auf 1284 m) und in der Alp Ischlawiz (auf ca. 1580 m), ferner in Sevelen über der Alp Legi (auf ca. 1300 m), alle im oberen Waldgürtel jener Zeit. Eine archäologische Untersuchung (Sondiergrabung) auf der Alp Pir in den 1980er Jahren brachte an der flachsten Stelle eine Steinsetzung von 8x12 m zum Vorschein; die dort gefundene Holzkohle liess sich auf das 13. Jh. n. Chr. datieren, jedoch bleibt offen, ob die Steinsetzung dieser Zeit angehört oder vielleicht als Überrest einer vorgeschichtlichen Anlage damals bereits im Boden lag. Auf dem Pirbühel aber kam eine Brandschicht zum Vorschein, die sich in der Bronzezeit auf etwa 1200-1400 v. Chr. datieren liess.


Der Pirbühel in Grabs (urkundlich 1463 noch als Montpir bezeugt) ist die am Horizont links der Mitte sichtbare rundliche grasige Kuppe. Er überragt den steilen Studner Berg; weiter oben die Alp Gampernei und der Margelchopf. Der nähergelegene Hof ist in Runggelrun, das Haus darüber gehört zum Weiler Walchen.

Während der Bronzezeit (ca. 2200-800 v. Chr.) wurden bevorzugt Inselberge als Siedlungsstandorte gewählt. Um 1800 v. Chr. sind erste Siedlungen auf dem Ochsenberg (Wartau) sowie auf dem Buerst (Borscht) in Schellenberg nachgewiesen. Mit dem Beginn dieser Epoche treten vermehrt sogenannte Hort- oder Depotfunde auf, meist Ansammlungen von (metallenen) Geräten und Schmuckstücken. Beim Beildepot von Salez mit über 60 gussfrischen Bronzebeilen, wertvollen Transportgütern auf der Nord-Süd-Achse, handelt es sich um ein Händlerversteck. Der Fund von sieben gebrauchten Beilen in Gasenzen (Gams) deutet auf rituelle Handlungen (Opfergaben) hin. Rodungen der späten Bronzezeit sind im Moos (hinter Oberschan) ausgewiesen.

Auch das Herrenfeld in Wartau war seit der frühen Bronzezeit besiedelt. Erhalten geblieben sind zwei Feuerstellen aus der Zeit um 1200 v. Chr., zwei Trockenmauerfundamente und eine 12 m lange Hauswand des 10. Jhs. v. Chr. Im Raum Wartau waren während der Bronzezeit mehrere Plätze gleichzeitig besetzt.


Blick auf das flache Herrenfeld (in Bildmitte) nordöstlich bei Gretschins (Luftbild). Darüber der Ochsenberg mit der Burgruine. Im Hintergrund links Vaduz, dann Triesen und darüber Triesenberg.

Als dritter Platz wurde während der Frühbronzezeit auch der Felsen der Prochen Burg besetzt gehalten. Zwischen dem Felsuntergrund und dem steinigen, mittelalterlichen Baugrund liegt eine Lösslehmschicht, die neolithische und bronzezeitliche Funde ergab. In einer ungestörten Grube fanden sich Keramik und Steingeräte. Silex wurde am Ort verarbeitet. Unter den Felsgesteingeräten sind eine unvollendete und eine gebrochene Schaftlochaxt; zahlreicher sind die Beile und Meissel aus Serpentinit. An Metallfunden liegen ein kleines, kupfernes Flachbeil und ein frühbronzezeitliches Randleistenbeil vor (deren Verbreitungsschwerpunkt in Oberitalien, Provinz Brescia, liegt).

Die Eisenzeit ab etwa 800 v. Chr. wird unterteilt in die Hallstadtkultur (ca. 800-450 v. Chr.) und die La-Tène-Kultur (450-15 v. Chr.). Auch in dieser Epoche werden nach Ausweis der Funde zunächst noch Höhensiedlungen bevorzugt. Am Gräberfeld vom Runda Böchel (Balzers) lassen sich lang dauernde Verbindungen zwischen süd- und nordalpinen Bevölkerungsgruppen nachweisen. Es fehlt weiterhin eine sichere Brücke zwischen diesem Befund und der Frage nach der ethnisch-sprachlichen Zugehörigkeit der beteiligten Menschengruppen.

Im 6./5. Jh. v. Chr. fand im Alpenrheintal ein wirtschaftlicher Aufschwung mit schneller Zunahme des Warenverkehrs statt. Eine leistungsfähige transalpine Verkehrs- und Fernhandelsroute mit Wegnetz und Zwischenstationen führte hier durch. Kontakte ins Ostalpengebiet, nach Süddeutschland und bis nach Frankreich sind nachgewiesen. Brandopferplätze gehören zu den wichtigen archäologischen Quellen der Eisenzeit; sie markieren hier die westliche Grenze der ostalpinen Opferplätze. Hier ist als Fundstelle auch der Ochsenberg (Wartau) zu nennen; ebenso für Fibeln südalpiner Herkunft, welche die Beziehungen des Alpenrheintals zu den Gebieten südlich der Alpen auch für die jüngere Eisenzeit belegen.

Das Vordringen der Kelten aus den Regionen nördlich der Alpen bis zum Po wird durch vermehrte Waffen- und Helmfunde nachdrücklich belegt. Die Waffen, die auf dem Ochsenberg zahlreich im Mittelpunkt kultischer Handlungen standen, werden mit der römischen Eroberung der Alpen in Zusammenhang gebracht.

Seit 1985 führte die Abteilung für Ur- und Frühgeschichte des Historischen Seminars an der Universität Zürich unter der Leitung von Prof. Margarita Primas auf dem Ochsenberg systematische Grabungskampagnen durch. Gesichert ist, dass der Ort seit der Jungsteinzeit immer wieder von Menschen aufgesucht und benutzt, zwischenzeitlich aber auch verlassen worden ist. Auf der Ostkante des Plateaus wurde ein Bau freigelegt, der in die frühe Bronzezeit (nämlich zwischen 1900 und 1700 v. Chr.) datiert werden konnte. Ein Hausgrundriss der Spätbronzezeit fand sich in Plateaumitte. Ebenfalls im Mittelpunkt des Plateaus befindet sich ein Brandopferplatz aus der Eisenzeit (um 500 v. Chr.), an dem während mehrerer Jahrhunderte immer wieder rituelle Handlungen vorgenommen wurden, wobei sich im Lauf des 1. Jhs. v. Chr. das Ritual anscheinend veränderte, offenbar unter römischem Einfluss. Münzen keltischer (3.-1. Jh. v. Chr.), römischer (vor allem 4. Jh. n. Chr.) und langobardischer Herkunft (8. Jh.) kamen zum Vorschein. Mittelalterliche Funde fehlen. Zur herrschaftlichen Anlage des Frühmittelalters vgl. O. Ackermann in WJ 2002, 219-223. An der Südspitze des Ochsenbergs wurden 1985 die Überreste einer anscheinend spätmittelalterlichen Kapelle freigelegt und dokumentiert (dazu Martin P. Schindler in WJ 1994, 88-107). Frühmittelalterlich überbaut war der mittlere Teil des Ochsenberg-Plateaus, eine durch Feuer zerstörte Hofanlage des 8. Jhs. Metall- und Münzfunde lassen auf Beziehungen zu Oberitalien wie auch zu Süddeutschland oder dem Schweizer Mittelland schliessen. Unter der frühmittelalterlichen Bauschicht folgt eine Anhäufung vorrömischer Funde, bei denen sich keltische und südalpine Fabrikate etwa die Waage halten.

Eines der wichtigsten Ergebnisse der archäologischen Grabungen in Wartau ist die lange Siedlungsfolge in einem Kleinraum. In jeder Periode sind Wechselbeziehungen mit anderen Regionen belegbar, es wechseln aber die Richtungen und die Intensität.