«Namen sind ungeschriebene Geschichte»
Sturm gegen eine römische Festung. Ausschnitt aus den Reliefs der Traianssäule, wohl von Apollodor von Damaskus (113 n. Chr.). - Aus: Conrad Cichorius, Die Reliefs der Trajanssäule, 1. Tafelband. Berlin 1896.

Zerfall des Römerreiches

Gegen Ende des 2. Jhs. erlebte das Kaiserreich seine letzte Blütezeit; unter Trajan erreichte es auch den grössten Umfang. Nun aber begannen sich die Anzeichen inneren Zerfalls zu mehren; dazu häuften sich Angriffe auf die Grenzen des unermesslich grossen Reiches. Von Norden her drängten die Germanen und begannen die römischen Stellungen zu überrennen. Um 250 stiessen Alamannen und Franken erstmals über den Rhein vor; der obergermanisch-rätische Grenzwall (Limes) brach. Die neue Nordgrenze des Römerreiches verlief nun von Basel zum Bodensee durch Vindelizien (Bilgeri 1976, 32).

In Diokletian, der 284-305 herrschte, erstand dem Reich nochmals ein grosser Reformer. Er stellte die vom Verfall bedrohte Ordnung im Innern wieder her, indem er das Reich neu organisierte. In diesem Zusammenhang kam es zur Untergliederung der Provinz Rätien in zwei Teilgebiete. Der südliche Teil, Graubünden und das nördlich anschliessende Gebiet zwischen Walensee, Bodensee und Arlberg, hiess nun Raetia prima (Raetia I) und stand unter der Hauptstadt (und späteren Bischofsresidenz) Chur. Das ehemalige Vindelizien nördlich des Bodensees und östlich des Arlbergs bildete die Raetia secunda (Raetia II) mit der Hauptstadt Augsburg. Starke Befestigungen sollten die gefährdete Nordgrenze sichern. In dieser Zeit, um 300, wurde das Kastell in Schaan neu errichtet, Arbon und Pfyn wurden neu befestigt (Malin 1958, 25), nachdem kurz zuvor (277 oder 280) die Villa Malerva bei Sargans einem Alamanneneinfall zum Opfer gefallen war (Grüninger 1977, 16).


Das Kastell in Schaan (Rekonstruktionsversuch), Zustand im letzten Drittel des 4. Jhs. Blick aus Ost. - Aus: Wikipedia (unter: Kastell Schaan).

Die Massnahmen Diokletians konnten den allgemeinen Niedergang des Reiches zwar nicht mehr aufhalten; für die Raetia prima brachten sie immerhin eine längere Verschnaufpause, während der die Angriffskraft der Alamannen sich mehr auf Helvetien und Gallien konzentrierte. Allerdings war um die Mitte des 4. Jhs. auch Rätien in heftige Abwehrkämpfe verwickelt. Spätrömische Höhensiedlungen (St. Georgen bei Berschis, Severgall in Vilters und Ochsenberg in Wartau) dienten den Einheimischen als Refugien gegen die alamannischen Eindringlinge (Grüninger 1977, 18). Auch die römische Bevölkerung Liechtensteins war schon im 3. Jh. genötigt, in Höhenlagen (Lutzagüetli in Eschen, Kröppel in Schaan) befestigte Fluchtburgen zu bauen. Noch um 430 war auf dem Bodensee eine römische Flotte stationiert, und hinter den Mauern der Kastelle und Städte (Arbon, Bregenz) behauptete sich weiterhin eine christlich-römische Einwohnerschaft. Um die Mitte des 5. Jhs. aber brach die Rheingrenze endgültig zusammen.