«Namen sind ungeschriebene Geschichte»
Die Hochalp Isisiz - einer der vielen vordeutschen Namen mit vorne angehängtem deutschem in-.

Deutsche Ortspräposition verbunden mit romanischen Namen

Nun wenden wir uns einem besonders auffälligen Ergebnis mittelalterlichen Sprachkontakts zu.  Dieses ist fast ganz auf Unterrätien beschränkt, dort aber gebietsweise stark verbreitet: Es handelt sich um rund 200 romanische Namen aus dem Raum zwischen Sax und Sevelen, aus Liechtenstein (meist dem Oberland), dem Walgau sowie Quarten am Walensee. Gemeinsam ist all diesen Namen, dass sie in ihrer ursprünglichen romanischen Form auf der zweiten Silbe betont waren, also schwachtonig anlauteten. Im Gefolge des Sprachwechsels zum Deutschen wurden diese Namen von der alemannisch sprechenden Bevölkerung übernommen und um eine vorangestellte Silbe erweitert. Bei dieser Silbe handelt es sich um die deutschen Ortspräpositionen in oder an, die ja natürlicherweise in der gesprochenen Rede (im Satzzusammenhang) einen Ortsnamen meist begleiten. Man bezeichnet diesen Vorgang als «Agglutination» (von lat. agglutinare ‘ankleben’). Die Problematik ist von Hans Stricker thematisiert, gedeutet und auf die Zeit des 12.-14. Jh. datiert worden (vgl. Stricker 1976; Stricker 1980b).


Rot eingefärbt die Gebiete mit Agglutination.

Hier zunächst eine Reihe von Namenbeispielen:

Aus Werdenberg:  Amazell (Wartau), Amasora, Amatnez, Amplasur, Angglagritsch, Eschalär, Ifelgiis, Ifelgup, Iferschmut, Imalschüel, Impertill, Implategg, Inarin, Inggalstram, Inggarnol, Ingglasür, Isarina (alle Sevelen), Ifelgurg, Imalbun (Buchs), Amadang, Amaggusa, Amaschnun, Amasis, Amatnänn, Amatüe, Amerhalde, Ampadeila, Ampadell, Anggalrina, Anggapells, Äräggäll, Averschnära, Hinrigmäl (!), Impelwiza, Impertätsch, Impertschils, Impeschina, Inggadells, Inggeriäls, Inggernast, Ischlawiz, Isisiz, Ivelrentsch, Ivelspus, Iverplut, Ivertschell, Iverturst (alle Grabs), Afaggeia, Afagrist, Afasteig, Amaleis, Amapfeder, Ifadura, Ifermunt, Igadeel, Igalätscha, Imatschils, Iraggäll, Iskafols (alle Gams), Amalerva, Eggilina, Igadeel, Igaduna, Igatschier, Igiditsch, Igischätz (alle Sennwald).

Aus Liechtenstein: Aviols, Irafrieg, Iratell (alle Balzers), Eggastalta, Eggatetsch (Triesen), Amisescha, Imperzaa (Triesenberg), Iraggell, Iratetsch (Vaduz), Efiplanka, Efisalf (Schaan), Wisanels (!) (Mauren), Amadetscha (Schellenberg); siehe FLNB I/6, 583 im grammatischen Register (s. v. «agglutinierte Präposition»).

Aus Vorarlberg: Eladritscha (Fraxern), Amatlina (Zwischenwasser), Angerlit (Fontanella), Agasella (Göfis), Elagrua, Ifelstära (Satteins), Irafröü (Röns), Inerlong, Inawils (Schnifis), Inanib (Düns), Irititsch, Irefreu (Schlins), Amerdona, Amerlügen (Frastanz), Inatschina, Inasott (Nenzing), usw.

Aus Quarten (am Walensee): Amazella, Ufadura, Amatänna, Anggadäntis, Anggeldura, Himpelus (!), usw.

Also nochmals das hier Wichtigste: All diese Namen tragen die Hauptbetonung auf der dritten Silbe, wie hier durch den fett gesetzten Vokal angedeutet wird. Und in den A-, An-, I-, In- sind unschwer die deutschen Ortspräpositionen an und in zu erkennen (bei Ufadura mischt sich auch mundartlich uf ein).

Warum – und wann – kam es zu dieser Namenserweiterung?

Diese eigenartige Zweckentfremdung der vor dem Namenwort befindlichen Präposition hängt eng zusammen mit den Betonungsverhältnissen: Die agglutinierte Präposition trägt stets den Gegenton, ihr folgt der romanische Namenstamm mit Schwachton- und Haupttonsilbe sowie einer bis zwei (hier irrelevanten) Nachtonsilben. Vor der Agglutination bildete also normalerweise die Schwachtonsilbe den Namenanlaut: Amasora hiess älter *Masora, Eggastalta war ursprünglich *Gastalta, Iraggell beruht auf *Raggell, und so fort.

Nach dem historischen Material zu schliessen, hat der Agglutinationsprozess spätestens im 14. Jh., wohl aber noch eher früher stattgefunden. Das bedeutet, dass wir uns für die betreffenden Gegenden im Zeitraum des Sprachwechsels bzw. der romanisch-deutschen Zweisprachigkeit befinden. Hier trafen zwei unterschiedliche Intonationssysteme aufeinander.

In der «romanischen» (jambischen) Betonung von Namen wie *Masora, *Gastalta, *Raggell liegt also der eigentliche Auslöser des Agglutinationsvorgangs. Dieses bis dorthin unangefochtene romanische Betonungsmuster behagte nun einem Teil der Landesbewohner nicht mehr. Wer anders aber konnte das sein ausser den zugewanderten alamannischen Neusiedlern mit ihrem natürlichen Hang zur germanischen Anfangsbetonung, zum betonten Wortauftakt?

Hätte der Kontakt der beiden Sprachgruppen früher stattgefunden, d. h. hätten die Alamannen solche Namen noch in althochdeutscher Zeit – vor 1100 – übernommen, dann wäre deren Akzent nach damaliger Gewohnheit auf die erste Wortsilbe zurückgezogen worden (aus *Masora wäre ein *Masera geworden, gleich wie aus Brigantium das deutsche Bregenz wurde).

Eigenartiges Nachwirken des Akzentrückzugs

Nun aber war, als unser Gebiet zweisprachig wurde, im Deutschen die Zeit solcher zwingenden Akzentverlegungen bei Fremdnamen weitgehend abgelaufen. Allerdings wohl noch nicht lange (bzw. nicht ganz) - denn die Tendenz zum betonten Wortauftakt war immer noch soweit wirksam, dass sie satzphonetisch - in einer Art Kompromiss - zu einer akzentuellen Aufwertung der Ortspräposition führte und diese als Träger der Gegentonsilbe dadurch schliesslich fest an den Namenkörper band: aus */an Masora/ wurde Amasora, aus */an Galrina/ ergab sich Anggalrina, aus */an Mapfeder/ entstand Amapfeder, usw. So ergab sich ein Akzentgefüge /Gegenton-Schwachton-Hauptton/, das dem germanischen Sprachgefühl wieder entsprach - besser jedenfalls als die «romanische» oder jambische Betonung (mit /Schwachton-Hauptton/).

Etwas steht damit ganz ausser Frage: Eine solche Entwicklung konnte nicht von den noch kaum germanisierten alteinheimischen Romanen angestossen worden sein. Die auffällige Erscheinung zwingt uns vielmehr anzunehmen, dass der Sprachwechsel im Agglutinationsraum mit bedeutenden Schüben alamannischer Zuwanderung verbunden war; ohne diese Voraussetzung wäre die offenkundige Durchschlagskraft der ja ganz unromanischen Erstbetonung hier nicht zu erklären.

Da stellt sich natürlich gleich die Frage, wie in dieser Hinsicht die weiter südlich gelegene Gegend um Sargans zu beurteilen sei. Hier gibt es zwar viele romanische Namen, und dennoch fehlen hier die agglutinierenden Namen wieder fast völlig; es könnte, so gesehen, für diesen Raum also auf die Annahme deutscher Zuwanderung verzichtet werden. Nun ist aber (laut Trüb 1951, 271) hier das Romanische zwischen dem 13. und dem 15. Jh. im Zuge der feudalistischen Machtentfaltung der Sarganser Grafen von einer schwäbisch-alemannischen Mundart verdrängt worden, was wiederum bedeutende Zuzüge alamannischer Lehens- und Dienstleute voraussetzt. Camenisch 1963, 109f. vermutet (wie weiter oben bereits erwähnt) gar die Existenz bereits frühmittelalterlicher deutscher Einsprengsel im romanischen Raum um Sargans (Rodungsarbeiter oder Bergleute am Gonzen).

Es scheint also, dass der Agglutinationsvorgang alamannisches Kolonistentum zwar voraussetzt, dass dieses aber keineswegs immer und überall jene Entwicklung zur Folge haben musste.

Angesichts dieses scheinbaren Widerspruchs könnte folgende Beobachtung von Bedeutung sein: Grabs besitzt als Kernzone des Agglutinationsvorgangs heute nur eine verschwindende Zahl vordeutscher Namen mit Schwachtonanlaut (Filier, Germil, Gerschella, Mafun, Maturt, Mazils, Pilärsch, Salegg), die überdies teils aus älteren agglutinierenden Formen restituiert waren (vgl. älteres Amafun, Amaturt, Ampilärsch). Demgegenüber zeigt Wartau mit über 160 schwachtonig anlautenden Namen (Ergella, Fanal, Fanela, Fanola, Ferdieris, Ferdurn, Fereitis, Ferfiggs, Ferfingis, Fergasis, Fergeilis, Fergfal, Fergfreisch, usw.) eine massive Konzentration, die sich von den Grabser Verhältnissen ganz entschieden abhebt.

Nun liegt Wartau weiter südlich als Grabs; die agglutinierenden Namen sind hier nur mehr ganz schwach vertreten; und das Entscheidende: Wartau wurde sicher auch später verdeutscht als der Raum weiter nördlich. Das Bedürfnis zur Tonverlegung wirkte sich in Wartau nur noch ganz am Rande aus, während es weiter nördlich sowie im Liechtensteiner Oberland einen bestimmenden Einfluss ausübte.

Aus dieser Sachlage heraus ist zu schliessen, dass der Agglutinationsvorgang in seiner Wirksamkeit grundsätzlich weniger räumlich, als vielmehr zeitlich begrenzt war. Er wurde während eines bestimmten, vermutlich relativ kurzen Zeitraumes in allen unterrätischen Gebieten wirksam, soweit diese damals im Stadium der Zweisprachigkeit standen oder dieses eben durchlaufen hatten, und flaute dann wieder ab, aus Gründen, die weiter unten noch zur Sprache kommen werden.

Damit würden der nördliche und die beiden westlichen Randstreifen des Agglutinationsgebietes (ungefähr: Sax-Schaan im Rheintal, Murg am Walensee und die Talpforte bei Feldkirch für den Walgau) mit der Grenze einer älteren, bereits konsolidierten Verdeutschungszone zusammenfallen, wo keine Agglutination stattfand, vielleicht auch, weil das den Prozess auslösende Namensubstrat dort zu dünn gestreut war. Die oberen Grenzsäume der Agglutinationszonen, also eine Linie von Sevelen hinüber zum Fläscherberg, ferner die Gebiete um Walenstadt und Bludesch, dürften eine weitere Verdeutschungsetappe begrenzen, indem hier unser Phänomen (wahrscheinlich im 13. Jh.) an noch mehrheitlich romanischem Sprachgebiet zum Stehen kommen musste.

Keine Agglutination mehr in jüngeren Verdeutschungszonen

Als dann das Romanische um Jahrzehnte später (wohl im 14. Jh.) auch in Wartau, im oberen Seeztal und im oberen Illtal mit dessen Seitentälern langsam preisgegeben wurde, hatte sich offenbar die Wirkungskraft des germanischen Akzentrückzugs nun endgültig soweit reduziert, dass die Bildung agglutinierender Formen von nun an unterblieb.

Das augenscheinliche Erschlaffen der Tendenz (wohl im 14. Jh.) könnte aus der Kontaktsituation der Alamannen zum Rätoromanischen, im Sinne einer zunehmenden Angewöhnung an dessen Betonungsweise, verstanden werden. Träfe dies zu, dann müsste gerade für den Immigrationsraum um Sargans der Zuzug von bereits «assimilierten» Alamannen aus einer früheren Kontaktzone angenommen werden, da sie ja auf die entsprechende Ummodelung der – auch dort ja reichlich vorhandenen – schwachtonig anlautenden Namen verzichtet haben.

Eigenartige Stellung in syntaktischer Hinsicht

Der Verbreitungsraum dieser agglutinierenden Namengruppe zerfällt in zwei Gebiete mit teils unscharfen Übergängen.

1. Das erste, grössere Gebiet ist durch Erstarrung gekennzeichnet. Die Präposition wird beibehalten, aber verliert ihre Funktion, wird zum festen Namenteil; dafür muss dann im Satz eine neue, «freie» Präposition gesetzt werden. Da heisst es nun: (ich bin) im Amazella (Quarten), ~ im Iratitsch (Schaan), ~ uf Iraggell (Vaduz), ~ im Inggalstram (Sevelen). Dies gilt in allen syntaktischen Situationen: «dort ist (s) Inggalstram», «er geht ins Inggalstram», «er ist im Inggalstram», «er kommt vom Inggalstram». Hinzu kommt hier, dass diese Name teils noch mit Artikel versehen werden: In Sevelen etwa sächlich «das Inggalstram»; etwa in Triesen werden eherFeminina gebildet: «t Eggastalta», «t Epadrella», «t Amaschlina»; in Quarten wieder wiegen Maskulinbildungen vor: «der Anggeldura», «der Himpelus», «der Himpetüsch». Diese Artikelsetzungen sind ihrerseits ein sicheres Zeichen des gänzlichen Funktionsverlustes der agglutinierten Präposition.

2. Das zweite Gebiet ist das ursprüngliche und heute kleinere: Noch im 20. Jh. umfasste es den Raum von Grabs bis Sevelen und Triesen-Balzers, ist aber heute praktisch nur in Grabs (bzw. am Grabser Berg) noch einigermassen vital. Hier findet man flexible Teilagglutination. Da heisst es etwa: «dort ist Impertschils» - «ich gehe Impertschils» (eigentlich: «ich gehe in Pertschils») - «ich bin Impertschils» (eigentlich: «ich bin in Pertschils») - «ich komme von Impertschils». Also: Wo die agglutinierte Präposition nach den Regeln des Satzbaues hingehört (nämlich auf die Fragen «wo?», «wohin?»), nimmt sie ihre syntaktische Funktion normal wahr: es wird also keine weitere, «freie» Präposition beigezogen. Dort aber, wo die Präposition syntaktisch überflüssig ist (nämlich bei «dort ist …» sowie auf die Frage «woher?»), wird sie nicht etwa abgeworfen, sondern bleibt hier, weil agglutiniert, als Namenselement bestehen - eben: «von Impertschils». Natürlich holpert eine solche Formulierung sprachlich spürbar und stellt einen eigentlichen Balanceakt dar, der in sich instabil ist und heute auch nach Ausgleich sucht. Auch in Grabs als letztem Refugium dieser Erscheinung ist in jüngster Zeit die Tendenz unverkennbar, wieder ein einheitliches Paradigma herzustellen, also der eben gezeigten instabilen Situation auszuweichen.

Als Mittel hierzu stehen drei Möglichkeiten bereit:

1. Die Präposition erstarrt, wird zum festen Namenteil: Dies wurde oben gezeigt.

2. Die Präposition wird wieder ganz abgeworfen: Eggapont, Epadrella, Eggaselfa (alle Triesen) oder Imalbun (Buchs) wurden wieder zu Gapont, Padrella, Gaselfa, Malbun – also eigentlich zur ursprünglichen Namenform (deren «restaurierte» romanische Betonung mittlerweile offenbar keinen Anstoss mehr erregt). Diese Kurznamen haben sich namentlich im 19./20. Jh. als Schreibformen wieder stark etabliert, und sie werden bis heute beim Volk als «hochsprachlich» empfunden. So stehen heute nun oft beide Formen nebeneinander, die eine im mündlichen, die andere im schriftlichen Gebrauch: Amasora/Masora, Inggalstram/Galstramm, Ingglasür/Glasür (alle Sevelen), Imalbun/Malbun (Buchs), †Amaturt/Maturt, Impertätsch/Pertätsch, Amasis/Masis, Amaschnun/Maschnun, Ischlawiz/Schlawiz (alle Grabs), usw.

3. Nicht nur die ominöse Präposition, sondern auch gleich der schwachtonige Stammanlaut wird fallengelassen. Dieses radikale Verfahren ist weniger häufig, aber doch hinreichend bezeugt: Aus Impertschils wird Tschils, aus Averschnära wird Schnära, aus Impertätsch wird Tätsch, aus Inagrib wird Grib, aus Inagrüel wird Grüel. So ergeben sich lauter erstsilbenbetonte Kurznamen - eine besonders deutliche Angleichung an «deutsche Intonationsgewohnheit».

Agglutination wird zum Phantom

Abschliessend bleibt noch etwas kaum Erwartetes zu beobachten: Wir kennen am Grabser Berg Namen, die sich in ihrer Verwendung in der gesprochenen Rede an die Agglutinationsnamen angleichen, ohne aber dieser Gruppe anzugehören.

Es geht um folgendes: Ein Alpname wie Gamperfin (< rtr. camp + rovina) wird am Grabser Berg traditionellerweise so verwendet: er ischt Gamperfin (!!) – also unter Auslassung einer expliziten Präposition! Der Fall erinnert an das aus der städtischen Jugendsprache bekannte «gömmer Migros», hat aber nichts damit zu tun: unser mer gunn Gamperfin ist sicher kein «Balkanslang», sondern reicht weit in die Sprachgeschichte zurück.

Die Erklärung dieser Merkwürdigkeit liegt darin, dass die Agglutinationsnamen sogar über ihr eigenes Territorium hinaus nachwirkten, indem ein Name wie Gamperfin (oder Gampernei oder Mumpelin) wegen des übereinstimmenden Betonungsschemas (/Schwachton–Nebenton–Hauptton/) mit den agglutinierenden Namen gleichgesetzt wird!

Seit bald 800 Jahren ist das Sprachgefühl des Einheimischen auf diese Intonationsstruktur trainiert. Agglutinationsnamen wie Amasis, Ampadeila, Iverturst werden gleich betont wie etwa Gamperfin, Muntlerentsch, Runggelrun (die keine agglutinierte Präposition aufweisen) – und sie alle gehören zum lokaltypischen alltäglichen Bestand. Das gemeinsame Betonungsschema bildet die Brücke, die sie hier zusammenbringt.

Der Fall «mer gunn Gamperfin» zeigt, dass dieses intonative Muster derart systemtypisch ist, dass es gar keine wirkliche Ortspräposition mehr braucht, um diesen Mechanismus auszulösen: In der einleitenden Gegentonsilbe wird auch dann noch das Vorhandensein einer Ortspräposition «gesehen», wenn gar keine solche vorhanden ist – solange nur das übereinstimmende Intonationsschema vorliegt. Es reicht also allein das rhythmische Gefüge, um die syntaktische Auswirkung der Agglutinationsstruktur aufrechtzuerhalten (bzw. hier bloss zu simulieren), indem der einleitenden, gegentonigen Silbe automatisch auch die Funktion einer Ortspräposition zugewiesen wird.

Das ist schon merkwürdig genug. Noch merkwürdiger ist indessen, dass diese Anomalität sich am Grabser Berg auch auf deutsche Namen ausgedehnt hat – stets vorausgesetzt, dass diese dem bekannten Intonationsmuster (/Schwachton–Nebenton–Hauptton/) folgen. Das trifft etwa zu auf Namen wie: Neuenalp, Eggenberg, Steffenbüel, Tischenhus, Stechenmoos, Brennerswis, Hänslisbünt. Auch dort heisst es: «Hüt gummer Neuenalp». «Er ischt Eggenberg». «I bi non Hänslisbünt ggsiin»,  «i sött no Steffenbüel», usw.

Mit solchen Sprechgewohnheiten bleiben die älteren Grabserberger (zu denen ich mich zähle) heute allerdings ganz unter sich. Kein Aussenstehender würde diese Aussagen als korrekt akzeptieren. Und auch die junge Generation am Grabser Berg ist dieser Merkwürdigkeit keineswegs mehr gewachsen. Ein versteckter Winkel des Sprachlebens – ein zwar labiler, jedoch während Jahrhunderten erhaltener Balanceakt – wird auch hier bald der Normalisierung anheimfallen und der regulären Ausdrucksweise gewichen sein.