Nach der Verdeutschung unseres Talabschnitts im Hoch- und Spätmittelalter bildete sich auch hier eine breite Mundartvielfalt aus. Ihr Laut- und Formenreichtum hat sich infolge des ausgeprägten Eigenlebens unserer Gemeinden und der politischen Zersplitterung des Tales während Jahrhunderten zu halten vermocht.
Nicht nur im Bereich der Ortsnamen ist die romanische Vergangenheit bis heute allgegenwärtig geblieben. Auch in unseren Mundarten blieben viele Wörter hängen, welche von unseren «wälschen» Vorfahren – und zum Teil gar von deren Vorvätern aus vorrömischer Zeit stammen. Je weiter wir uns Graubünden von unten (rhein- und seezaufwärts) nähern, desto höher steigt in den jeweiligen Dorfmundarten die Zahl der vordeutschen Reliktwörter.
Grüsche f. ‘Kleie’ (< lat. crusca); plugge(n) ‘ablesen, pflücken’ (< piluccare); Guschpe f. ‘Eisenspitze’ (< cuspide); Miggle f. ‘Krume’ (micula); Brätsche f. ‘grüne Schale der Nuss’ (rtr. paratscha); Bütz m. ‘Tümpel’ (rtr. puoz, lat. puteu); Obläze f. ‘Befestigungsriemen am Hornjoch’ (rtr. amblaz); Treije f. ‘Stufenweglein des Viehs an Weidehängen’ (rtr. truoi, vorröm. trogiu); Schrun m. ‘Käsemilch’ (< lat. seronem); Pfnille f. ‘Schopf, Raum in der Scheune’ (< lat. fenile); Maschgelt m. ‘Samenhanf’ (< lat. masculu); Spoer f. ‘Verschlagholz am Heuseil’ (< lat. spola); Plättli n. ‘Hühnchen’ (< lat. pulla); Gscharnuz m. ‘Papiersack’ (rtr. scarnuz); Ruschele f. ‘Ofenscharre, -krücke’ (< *rucina); Föle f. ‘Rückstand beim Buttersieden’ (rtr. vigliaunas, < *vilia); Bolderen f. pl. ‘Käseteilchen’ (< *pulna); pass adj. ‘welk, müde’ (< passu); Serle f. ‘Lattenverschluss einer Zaunlücke’ (< serra); Guge f. ‘Stengel des Gefleckten Schierlings (Conium maculatum, mit hohlem Stengel)’ (< cicuta); Gscharpiu (Starpiu) m. ‘Maulwurfsgrille’ (< scorpione).
Nur noch in Flurnamen erhalten sind etwa diese Reliktwörter:
Plis n. (m.?) ‘grasiger Steilhang’ (< vorröm. *blese), früh eingedeutscht und erhalten im Alpnamen (in den) Plisen (Grabs); die spätere romanische Entwicklung bleis finden wir im Flurnamen Bleis (Wartau).
Grof f. ‘sandiger, mit Bachschutt überführter Platz’ (rom. grava) ist erhalten im Namen des Dorfteils Grof (Buchs).
Walserischer (und frankoprovenzalischer) Herkunft ist das Wort Gufer m. ‘Stein’, das hierzulande noch als Flurname Guferen vorkommt. Walsersiedler gab es nicht nur in Wartau (Matug, Walserberg und Palfris), sondern auch am Seveler, Buchser und Studner Berg (der Geländename Bogmen auf der Grabser Alp Gampernei, aus walserisch Bodmen ‘Böden’, erinnert dort an die einstigen Siedler).
Sprachliche Nivellierung der letzten Jahrzehnte
Noch um die Mitte des 20. Jhs. - und im Fall der älteren Generation bis heute - war es ganz allgemein und ohne weiteres möglich, einen einheimischen Sprecher seiner Heimatgemeinde zuzuweisen. Und selbst innerhalb der Gemeinden - namentlich der vielgestaltigen Gemeinwesen wie etwa Wartau, Grabs und Sennwald - waren die Mundartunterschiede zwischen den einzelnen Dörfern, Fraktionen oder Gemeindeteilen teils sehr merklich; auch hier gingen wirtschaftliche Eigenständigkeit und sprachliches Eigenleben Hand in Hand. Heute haben sich die Lebensbedingungen grundsätzlich verändert, und damit sind auch die sprachlichen Verhältnisse in Bewegung gekommen. Die Zeit der mehr oder weniger abgeschlossenen Dorfgemeinschaften ist unwiderruflich vorbei; und so sind die angesprochenen Unterschiede heute daran zu verflachen.
Die mundartliche Vielfalt der Region Werdenberg ist von der Mundartforschung bisher nicht in gleichem Masse beachtet worden wie die Regionaldialekte der Umgebung (Sarganserland: vgl. Trüb 1950; Rheintal: vgl. Berger 1913; Toggenburg: Wiget 1916; Südvorarlberg/Liechtenstein: Jutz 1925). Dies ist zu bedauern, bildet doch Werdenberg einen interessanten Staffelungsraum im Ãœbergang zwischen nördlich-rheintalischen und südlich-sarganserländisch-bündnerischen Mundarttypen, und es bestehen hier alte sprachliche Verbindungen über den Rhein (nördliches Liechtenstein und südliches Vorarlberg), die näher zu untersuchen wären.Â
An dieser Stelle kann selbstredend eine wissenschaftliche Beschreibung der Werdenberger Mundarten nicht vorgelegt werden; einige allgemeine Feststellungen müssen hier genügen.
Im Schweizerdeutschen Sprachatlas (SDS) ist die Region Werdenberg mit fünf Aufnahmepunkten vertreten: Sennwald (SG 17), Frümsen (SG 18), Grabs (SG 33), Sevelen (SG 42) und Azmoos (SG 43). Hier vermisst man insbesondere einen Aufnahmepunkt Gams, da diese katholische Gemeinde traditionell eine gewisse Sonderstellung im ansonsten reformierten Werdenberg einnimmt.
Gemeinsam ist allen Werdenberger Mundarten die Brechung von mittelhochdeutschem langem e zu /‑eä‑/ und von langem o zu /‑oä‑/ (Leär ‘Lehre‘, Choär ‘Chor‘; vgl. Berger 1913, §§ 36 und 38). Ebenso wird allgemein westgermanisches kk nicht als /kch/ (wie weiter nördlich), sondern als /kk/ realisiert: Sagg, Stogg, Schlugg, Begg, Bogg, Rogg, hogge(n), chlogge(n), usw., entsprechend germanisch nk als /ngg/: tringge, tunggl, Bangg (weiter nördlich als /nkch/).
Die Vokaldehnung in offener Silbe verbindet die Werdenberger Mundarten mit dem Sarganserland, aber ebenso mit dem Liechtensteiner Unterland: Waage ‚Wagen‘, laade ‚laden‘, Faade ‚Faden‘, heebe ‚halten‘, während das Liechtensteiner Oberland hier die Kürze bewahrt hat. Auch in der Gemeinde Sennwald sind hier Kürzen vorhanden: Bòde ‚Boden‘, Hòse ‚Hose‘, hebe ‚halten‘, Òbet ‚Abend‘ (jedoch: Waage ‚Wagen‘, Faade ‚Faden‘, wèèbe ‚weben‘, usw.).
Nur die Mundarten der Gemeinde Sennwald nehmen in Werdenberg noch teil an der im unteren Rheintal allgemeinen Entwicklung von mittelhochdeutsch ei zu /‑òe‑/ (Sòel, bzw. im Dorf Sennwald zu /‑aa‑/: Saal); vgl. Berger 1913, § 42); dies entspricht weitgehend der Entwicklung jenseits des Rheins (im Liechtensteiner Unterland /‑òò‑/, in Eschen und Mauren aber /‑aa‑/).
Gams läuft in der Entwicklung von mhd. ei zu /‑ää‑/ (Sääl ‚Seil‘) wiederum parallel zum Liechtensteiner Oberland. Früher umfasste diese linksrheinisch sehr schmale ‑ää‑Zone auch noch den Grabser Berg (und Grabs), wie sich mehreren archaischen Lautungen entnehmen lässt (nään ‚nein‘ [affektisch]; Hämschchue ‚Heimkuh‘ < heimsch‑; pmäänt ‚gemäht‘, wofür in Buchs gmääint; tswää ‚zwei‘, wofür Buchs tswäi).
Die Mundart des Grabser Bergs unterscheidet bzw. unterschied sich in der «singenden» Tonart sowie einigen lautlichen Abweichungen sehr merklich von der Sprechweise der «Dorfner» (Grabs), und die «Stadtner» reden schon eher wie die Buchser.
Zwischen Grabs und Gams verläuft die Grenze mit/ohne Hiatusdiphthongierung: Nördlich der Simmi heisst es Chnüü für ‚Knie‘, südlich davon Chnöi. Auch die Wortgrenze zwischen Zaun und Hag geht hier durch: südwärts heisst es Zuun, nordwärts Haag.
Während sich die Mundarten von Buchs und Sevelen im grossen Ganzen ähnlich sind, bildet Wartau wieder einen Sonderfall (sowohl gegen Norden wie gegen das Sarganserland) mit mehreren auffälligen Eigenheiten: Huis ‚Haus‘, Muis ‚Maus‘; Schtòin ‚Stein’, Chèès ‚Käse‘ (Werdenberg sonst überoffen Chääs, Sargans Chéis), Mììntì ‚Montag‘ (Werdenberg sonst Määntìg).
Die Werdenberger Mundarten sind ausgesprochen reich an nasalen Lautungen: Maan ‚Mann‘ (in Grabs Mòòn), Mùùn ‚Mond‘, chùùn ‚kommen‘, schtùùn ‚stehen‘, gùùn ‚gehen‘, Schiin ‚Schein‘ (aber: Schii ‚Ski‘!). Natürlich dehnt sich diese Nasalierung auch auf die romanischen Namen aus, deren Tonvokal sich in nasaler Umgebung befindet: Malun (Sevelen) /maluun/, Amaschnun (Grabs) /òmeschnùùn/, Mumpelin (Grabs) /mumpeliin/, Parman (Wartau) /parmaan/.
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